Reisst die Türen auf!

Ob Restaurant, Sportverein oder Kirche: Es ist so einfach, auf eine Speisekarte, in die Vereinspost oder auf eine Webseite Sätze wie «Bei uns sind alle willkommen!» zu schreiben.

Es ist eine ganz andere Sache, ob sich die Menschen dann auch wirklich willkommen fühlen. Da reichen gut gemeinte Bekundungen auf Leitbildern, Schaukästen oder Clublokalen nicht. Genauso wenig kann man politisch eine Willkommens-Kultur ausrufen und noch ein «Wir schaffen das!» hinterherschicken und meinen, die Menschen würden sich dadurch bei uns wirklich willkommen fühlen.

Solche Bekundungen sind nichts mehr als ein zwar sehr wichtiger, aber eben doch bloss erster Schritt. Es ist quasi eine rationale Absichtserklärung.

Neben der rationalen braucht es zwingend die emotionale Absichtserklärung! Beschränkt sich unser «Willkomm!» auf einen Kopfentscheid ohne entsprechende Herzenshaltung, könnten wir genauso gut sagen: «Heute gewinne ich im Lotto!» – es hätte keine bedeutende Auswirkung auf die Menschen um uns herum.

Toxic oder Safe Place?

«Wir haben uns eingeschlossen», lautete das selbstkritische Urteil auf einem christlichen Kalenderblatt zu Pfingsten. Rückzug und Selbstbeschäftigung machte der Autor, Hans-Werner Kube, in vielen Kirchen aus. Einen Tag später wagte er den Steilpass: «Lasst uns Türen aufreissen!», Neues wagen, Begegnung wagen, das Fremde lieben lernen wagen. Pfingsten halt – mehr als eine frische Brise.

Als ich neulich eine Predigt unter dem Motto «Du bist willkommen!» hielt und es eben nicht bloss um einen Kopfentscheid, sondern eine Herzenserfahrung ging, kamen Teilnehmende unter Tränen zur Erkenntnis, dass sie sich seit Jahrzehnten nicht willkommen fühlen. Eine solche Einsicht kann sehr schmerzhaft sein. Und trotzdem ist sie wichtig: Es kann der Anfang von etwas Neuem sein und vor allem das Ende von einem oberflächlichen, netten Lächeln à la «Wir haben uns doch alle lieb und sind nett zueinander!».

Willkommens-Kultur mag im Leitbild beginnen, erlebt (oder eben nicht) wird sie jedoch in den zwischenmenschlichen Begegnungen. Die meisten Menschen spüren recht gut, ob sie in einer Gruppe gerade so angenommen sind, wie sie sind.

Gruppen, und vielleicht trifft dies in besonderem Mass auf Glaubensgemeinschaften zu, haben ein enormes Potenzial, heilsam auf unsere Persönlichkeit zu wirken. Jedoch haben sie, und das trifft ganz bestimmt in besonderem Mass auf Glaubensgemeinschaften zu, auch ein gewaltiges, gar unheimliches, Potenzial toxisch auf unsere Persönlichkeit zu wirken.

In seinem wunderbaren Buch «Türen auf!» zeigt Lorenz Marti genau dies auf, indem er sich auf den Philosophen und Religionspsychologen Erich Fromm bezieht:

Autoritäre Religion hält den Menschen klein, operiert mit Angst und Schuldgefühlen und fordert bedingungslosen Gehorsam. Sie wird zur Zwangsjacke und führt auf Dauer zu einer seelischen Verkrüppelung.

Zum Glück ist es auch anders möglich:

Der autoritären Religion stellt Fromm die humanistische Religion gegenüber, welche den Menschen in der Entfaltung seiner Kräfte unterstützt und in der Erfahrung seiner Schwächen tröstet.
Sie dient der Menschwerdungen des Menschen, wird zur Quelle seelischer Gesundheit und fördert die Liebesfähigkeit.

Wir fühlen uns nicht überall willkommen und wir stehen nicht auf jeder Gästeliste. Das ist an und für sich noch nicht schlimm. Selbst Diskriminierung geschieht ganz oft nicht mit böser Absicht.

Darum bleibt es auch unsere Aufgabe, nach Orten zu suchen, die uns und unserer Seele guttun.

Und egal, ob wir ein Restaurant führen, im Sportverein aktiv sind, Verantwortung in einer Glaubensgemeinschaft tragen oder ganz einfach in unserem persönlichen Umfeld die Welt zu einem etwas besseren Ort machen wollen, stellt sich die Frage, was ich tun kann, damit «Du bist willkommen!» mehr als ein Lippenbekenntnis ist.

Glücksaufgabe

Wo erlebst du das heilsame Potenzial von Gemeinschaft, vielleicht auch von Glaubensgemeinschaften?

Hast du einen Safe Place?

Und wo hast du Toxic Places, die du künftig besser meidest?

Wie kannst du an deinem Ort eine echte Willkommens-Kultur fördern?

Hörempfehlung: Predigt «Lustvoll statt kraftlos leben und glauben» aus der neuen Matinée-Serie «Emotional gesund leben und glauben».

Du bist willkommen!

Dunkelheit kann Dunkelheit nicht vertreiben;
nur Licht kann das.
Hass kann Hass nicht vertreiben;
nur Liebe kann das.

Martin Luther King

Ist es nicht irgendwie Ironie, dass Amerika anfangs dieser Woche den Martin Luther King Day gefeiert hat und ende Woche nun Donald Trump in sein Präsidentenamt eingesetzt wird?

Da einer, der sein Leben hingab um Gräben zuzuschütten, um Menschen zu verbinden, um Rassentrennung zu überwinden. Und dort einer, der – so scheint es wenigstens aus Distanz – nicht genug davon bekommt, neue Gräben und Mauern zu schaffen.

Während Martin Luther King als einer der herausragenden Vertreter im Kampf gegen Unterdrückung und soziale Ungerechtigkeit (Wikipedia) gilt, muss Trump erst noch den Beweis antreten, dass auch er im Dienst der Menschheit steht.

Aber eben: Ich muss mich selbst immer wieder daran erinnern: Wir verändern die Welt nicht indem wir bloss Helden verehren oder auf unliebsamen Machtträgern herumhacken. Die Welt verändert sich, wenn ich mich verändere.

Wenn ich mich reflektiere. Wenn ich dem Guten mehr Raum gebe als dem Bösen. Wenn ich mich mehr und mehr der Liebe öffne und versuche, die Feindseligkeit aus meinem Leben zu verbannen.

Don’t touch!?

Welche Botschaft steckt hinter unseren Worten und welche Signale sendet unsere nonverbale Kommunikation aus? Was lesen unsere Mitmenschen, wenn sie „uns lesen“? Steht da „Du bist willkommen!“ oder doch eher „Don’t touch!“?

Ich weiss, das Propagieren einer Willkommens-Kultur kann einen ganz schön in Bedrängnis bringen und natürlich lässt sich nicht leugnen, dass eine offensive, breit angelegte Willkommens-Kultur jede Menge Herausforderungen mit sich bringt. Aber ich mache ja in meinem Blog weder nationale noch internationale Politik – eigentlich geht es mir hier überhaupt nicht um Politik.

Denn die Politik kann diese Willkommens-Kultur, die wir brauchen, gar nicht leben. Es geht um den Umgang von Mensch zu Mensch. Lass ich mich von den Hochs und Tiefs meiner Mitmenschen berühren? Heisse ich Menschen willkommen, die ich auf den ersten Blick mag – und solche, die mir etwas fremd sind? Versuche ich Gräben zuzuschütten oder grabe ich immer tiefer bis sich keine Brücke mehr zwischen mir und meinen Mitmenschen schlagen lässt?

Ich möchte andere Menschen wirklich spüren lassen „Du bist willkommen!“, „You are loved!“ und sogar „Ich lass mich berühren von dem, was dich beschäftigt!“. Aber ich kenne mich zu gut, ich weiss, dass bei mir auch hin und wieder ein Schild mit der Aufschrift „Don’t touch!“ hängt. Was so viel heisst wie: Lass mich in Ruhe! Stör mich nicht! Ich habe genug mit mir selbst zu tun.

Natürlich wäre es vermessen, zu glauben, dass wir immer alle Menschen willkommen heissen können. Ein guter Umgang mit den eigenen Grenzen gehört da auch dazu. Trotzdem will ich mich mehr und mehr vom Vater der bekannten Geschichte der verlorenen Söhne inspirieren lassen: Als der jüngere Sohn in der Fremde sein ganzes Erbe verprasste und in der Not nach Hause zurückkehrte, stellte der Vater keine Fragen (Hast du das wirklich gemacht? Was hast du dir dabei gedacht? Bedeute ich dir so wenig? …) sondern rannte ihm entgegen, breitete seine Armen aus und liess ihn spüren: „Du bist willkommen!“.

Mit diesem Lebensstil verändern wir die Welt! Und übrigens: Der Vater in der Geschichte ist ein Bild für Gott. In seiner Liebe streckt auch er seine Armen aus und möchte uns spüren lassen: „Du bist willkommen!“

[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=VyN78NsgAfw[/youtube]

 

Unter dem Motto „Du bist willkommen!“ machen wir uns kommenden Sonntag an der gms Matinée in Studen BE weitere Gedanken zu dieser göttlichen Willkommens-Kultur. Versteht sich von selbst: „Du bist willkommen!“ (Infos)
 

 

 

 

 

 

Im GlücksBlog schreibe ich zu den fünf Bereichen, die zu einem Leben in Zufriedenheit gehören. Diese Woche geht es um den Bereich Gelebte Spiritualität.