Selfie – die Selbstdarstellung

Der Mensch ist nur dann wahrhaft Mensch,
wenn er der Selbstbeherrschung fähig ist,
und selbst dann nur, wenn er sie ausübt.

Mahatma Gandhi

Selfies sind längst eine nette Freizeitbeschäftigung für viele geworden. Dass diese Beschäftigung jedoch auch ein gewisses Risiko in sich bergt, wissen wir spätestens seit Gerigate. Bilder von sich zu schiessen ist das Eine, was man darauf zeigt das Andere. Doch richtig brenzelig wird es, wenn die Bilder am Ende am falschen Ort landen.

Das Selife-Phänomen ist an und für sich nichts Neues: „Fotografische Selbstporträts existieren schon seit dem Debüt der tragbaren Kodak Brownie-Box-Kamera aus dem Jahr 1900“, weiss Wikipedia zu berichten. Doch wie bei so vielem vermischen sich heute „dank“ den Social Medias privater und öffentlicher Raum. Ein ziemlich privates Bild kann plötzlich ganz viel Berühmtheit erlangen.

Sich zeigen, wie man gesehen werden will

Aber warum sind Selfies so beliebt? Wiki sagt: „Der Anreiz der Selfies kommt daher, dass sie einfach zu erstellen und zu teilen sind und dem Fotograf die Kontrolle darüber geben, wie er sich präsentieren will. Viele Selfies sollen ein schmeichelhaftes Bild der Person abgeben, so wie sie von den anderen gesehen werden will.“

In meiner Kurzrecherche war ich zwar ziemlich erschrocken, wie wenig schmeichelhaft all die Bilder sind, welche mir die Google Bildersuche beim Stichwort „Selfie“ anzeigte. Doch die Absicht hinter unseren Selfies ist ja im Grunde schon klar: Wir wollen uns so in Szene setzen, wie wir von anderen gerne gesehen werden. Dabei werden sich wohl die Motive oft vermischen: Man will seine Freude über einen besonderen Moment zum Ausruck bringen und mit seinem sozialen Netzwerk teilen – und gleichzeitig hofft man ja auch, dass man „gefällt“. (Da hat sich ein breites Feld für Studien geöffnet: Korrelation zwischen Selbstwert und Anzahl „Likes“. Spannend auch der Befund, „dass das häufige Posten von Selfies mit schwacher sozialer Unterstützung korreliere“.)

Welche Ausmasse dieses Gefallen-Wollen annehmen kann, zeigt eindrücklich folgende Geschichte: In einem Referat erzählte ein Pastor, wie er für sein Selfie bei der Predigtvorbereitung rasch in der Bibliothek einige Bücher holte, um dem Bild von sich mehr Eindruck und Seriosität zu verleihen. Er wollte sich in einem möglichst guten Licht präsentieren. Eben: Wir zeigen uns gerne etwas schlauer, etwas schöner, etwas besser… als wir tatsächlich sind. Die richtige Umgebung oder die richtigen Personen auf unserem Selfie unterstützen uns im Gefallen-Wollen: Wir meinen, wichtige Orte und Leute würden uns selbst zu wichtigeren Personen machen.

Klar dass es sich empfiehlt, sich in einem Bewerbungsgespräch von seiner besten Seite zu zeigen. Doch das Alltagsleben – und vor allem die soziale Interaktion mit unseren Freunden – ist hoffentlich kein Bewerbungsgespräch. Unsere Freunde müssen wir hoffentlich nicht mit Selbstdarstellung überzeugen, uns zu lieben. Vielleicht wäre manchmal etwas mehr Selbstbeherrschung in Bezug auf die Selbstdarstellung gefragt.

 

 

WEITERFÜHRENDE ANGEBOTE ZUM THEMA

Weniger Selbstdarstellung dafür mehr Selbstreflexion – dazu laden wir in unseren Coachings und Timeout-Weekends ein. Aktuell:

Mein Blogbeitrag dieser Woche dreht sich um den Lebensbereich “Selbst“.

Look Up

Individualismus bedeutet heute, daß man alles tut,
was alle anderen tun – bloß einzeln.

Rock Hudson

32 Millionen Klicks in nur zwei Wochen – das muss man zuerst mal hinkriegen. Gary Turk hat das mit seinem Kurzfilm Look Up geschafft. Ironischerweise verbreitet sich dieser Film dank den Social Medias innert Kürze rund um den Globus, obwohl darin genau diese Form der Kommunikation angeprangert wird. Neben ganz viel Zustimmung erntet Gary Turk dafür auch jede Menge bissige Kommentare und 1’000e „Don’t likes“.

Tatsache ist: Was von so vielen Menschen angeschaut und geteilt wird, muss eine gewisse Relevanz haben. Das Thema beschäftigt, wir merken scheinbar alle, dass uns Erfindungen wie Smartphones und Social Medias weder smarter noch sozialer machen. Und trotzdem: Bitte verteufeln wir diese Dinge nicht. Der geniale und schöne Videoclip Look Up ist der beste Beweis dafür, dass dank diesen neueren Technologien auch gute Botschaften viel einfacher und mit weltumspannender Reichweite verbreitet werden können.

Zurück in die Steinzeit oder zur Rauchzeichen-Kommunikation, kann daher weder das Ziel vom Filmemacher Gary Turk noch der Rat von einem Life-Balance Coach sein. Einmal mehr gilt es, einen guten und sinnvollen Umgang mit Smartphones, FacebookCo. zu lernen.

Leben im Netz – und darüber hinaus

Ich habe nämlich auch schon erlebt, dass die Social Medias einen sozialen Beitrag leisten können: Wenn es dank Kontakten im Netz zu Begegnungen im wirklichen Leben kommt oder Freundschaften dank den zeitgenössischen Technologien auch über grosse Distanzen gepflegt werden können.

Meine schönste Erfahrung dazu: Letzten Spätsommer lernte ich via Businessplattform XING einen Geschäftsführer der Region kennen. Bald darauf kam es zu einem spontanen Kennenlern-Apéro. Eine spannende Freundschaft entwickelte sich. Kürzlich, am Ostermontag, sassen wir dann als Familien zusammen. Nach dem Essen verbrachten wir Erwachsenen einen schönen Nachmittag mit einem Brettspiel, während die Kids sich auf dem Spielplatz austobten. Was für ein entspannter Nachmittag, was für inspirierende Begegnungen.

Solche Begegnungen finden im richtigen Leben statt – nicht vor dem PC oder dem Smartphone. Und doch: In diesem Fall sind sie genau darum möglich geworden, weil ein erster Kontakt über die neuen Medien hergestellt wurde.

Darum rufe ich nicht zu einem Boykott von XING, Facebook & Co. auf. Sicher nicht. Aber ich will unseren unreflektierten Umgang damit in Frage stellen. Wo sind die Social Medias und die dazugehörenden Technologien das, was sie sein sollten – nämlich Hilfsmittel? Und wo sind sie mehr als das? Wo vertreiben wir uns die Zeit im Netz statt Beziehungen im wirklichen Leben zu gestalten?

Auch wenn das Zitat oben aus einer Zeit vor Facebook und Smartphones stammt, gefällt es mir sehr gut: Wir tun alle dasselbe, aber jeder für sich alleine. Und dem sagen wir dann Individualismus. Im Film Look Up gibt es dazu eine schöne Szene: Da bestaunt jemand ein wunderschönes Panorama und muss es natürlich sofort mit seinen Freunden teilen – auf einem sozialen Netzwerk. Nur schade, dass die Person im wirklichen Leben alleine vor der herrlichen Naturkulisse steht.

Lassen wir es doch zu, dass dieser gute Kurzfilm unseren Umgang mit den sozialen Medien in Frage stellt:

 

WEITERFÜHRENDE ANGEBOTE

Mein Blogbeitrag dieser Woche dreht sich um den Lebensbereich “Gesellschaft“.