Ist Religion gefährlich?

Die gefährlichsten Herzkrankheiten sind immer noch Neid, Hass und Geiz.
Pearl S. Buck

Neulich im Wartzimmer beim Hausarzt: Ich muss mich entscheiden zwischen nervösem Dasitzen, Klatschpresse und jeder Menge Gesundheitstipps (Dabei staune ich, wie günstig die Kinesiologin ist und was die alles kann… – ein anderes Thema.).

Mein Blick fällt auf das GEO mit dem Titel „Wie gefährlich ist Religion?„. Beim Durchblättern der Zeitschrift mit vielen eindrücklichen Bildern wird deutlich: Ja, Religion ist gefährlich. Sie kann sogar sehr gefährlich sein. Und, so ungern ich dies auch zugebe, da ist keine der grossen Weltreligionen eine Ausnahme. Alle haben das Potenzial, für Glaubenskriege missbraucht zu werden; Beispiele dafür gibt es mehr als genug.

Das ist die eine Seite. Ich bin froh, dass in der erwähnten Zeitschrift nicht einseitig mit Religion und gelebtem Glauben abgerechnet wird. Im Editorial schreibt Peter-Matthias Gaede: „Wir wissen: Es gab und gibt die Mutter Teresas und die Befreiungstheologen, es gibt die Gläubigen aller Konfessionen weltweit, die ihre besondere Kraft zu Menschenliebe, Uneigennützigkeit und Versöhnung aus ihrer Spiritualität beziehen.“

Spiritualität in diesem Sinne wäre meinens Erachtens glatt die Umkehrung der im Eingangszitat erwähnten Herzenskrankheiten Hass, Neid und Geiz. Wenn wir durch eine wache, gelebte und gepflegte Gottesbeziehung Liebe erfahren, kann das schier als unmöglich geglaubte wahr werden: Der andere Mensch ist nicht mein Gegner, er kann mein Freund und Bruder werden. Wie nicht jeder die Liebe Gottes erwiedert, so wird auch nicht jeder Mensch darauf einsteigen, wenn wir mit ihm in Frieden leben wollen. Doch genau da zeigt sich die Echtheit und Stärke unserer Spiritualität: Bleibt es bei den gut gemeinten Absichten oder siegt in uns auch dann die Liebe, wenn wir angefeindet werden?

Im Geo lese ich weiter:

Allerspätestens seit Papst Pius XII. zaghaft wenig tat, als die deutschen Nazi-Okkupanten die Juden Roms auf den Weg in die Gaskammern brachten, könnte man der Ansicht sein, Christenmenschen – wie andere Gläubige – seien halt am Ende auch nur so schwach wie der kleine Mensch an sich; nicht besser, nicht stärker, nicht moralischer. Es wäre immerhin ernüchternd, denn man stellt sich den guten Gläubigen doch gerne als jemanden vor, der Menschenrecht und Werte auf einer höheren Ebene verficht; und friedlich sind ja angeblich alle Religionen im Kern.

Das ist ein wichtiger Punkt: Auch Christenmenschen sind Menschen! Oftmals nicht besser oder schlechter als andere Menschen – einfach Menschen mit täglichen Herausforderungen.

Als Mensch, der sich nicht gerne als religiös bezeichnet, aber aufrichtig versucht diesem Jesus nachzufolgen, entdecke ich genau hier die befreiende Kraft des Evangeliums, der guten Botschaft von Gott: Der christliche Glaube will mir nicht in erster Linie einen moralischen Verhaltenskatalog aufzwängen, sondern bietet mir in meinem Scheitern neue Hoffnung,  Friede, Liebe und Wiederherstellung an.

Dieser Glaube hätte es eigentlich auch nicht nötig, dass wir ihn mit Waffen verteidigen.

 

Mein  Blogbeitrag dieser Woche dreht sich um den LebensbereichSpiritualität“.