Schauendes Vertrauen

Es ist meine Hoffnung, dass ihr alle gut ins neue Jahr gestartet seid. Jedenfalls wünsche ich uns viel Hoffnung, Mut, Weitblick und Gelassenheit in dieser ungewissen Zeit.

Im Dezember habe ich an dieser Stelle über Vertrauen geschrieben (Frage des Vertrauens und Gnadenbringende Weihnachtszeit …), heute beschliesse ich diese kleine Serie.

Zu meinen schönen Aufgaben als Ressortvorsteher Bildung gehört es, dass ich anfangs Schuljahr das Kollegium bestehend als Lehr- und Betreuungspersonen sowie Schulleitung und -verwaltung mit einer kurzen Ansprache begrüssen darf.

Letzten Sommer, dem Abstand zwischen den rund 100 Mitarbeitenden unserer Schule war anzusehen, dass wir zum wiederholten Mal ein Schuljahr im Pandemie-Modus starten müssen, wollte ich nicht über Corona sprechen.

Darum wählte ich folgendes Zitat:

Nichts kann den Menschen mehr stärken als das Vertrauen,
das man ihm entgegenbringt.
Adolf von Harnack, protestantischer Theologe

Blind vertrauen?

Nein, in meiner Ansprache habe ich nicht für «blindes Vertrauen» im Schulalltag geworben. Dies wäre dort, wie an vielen anderen Stellen auch, fehl am Platz.

Aus gutem Grund gibt es Behörden (in diesem Fall beispielsweise die Bildungskommission), die eine Aufsichtspflicht haben. Und als Führungspersonen, Chefs, Trainer oder eben auch als Lehrpersonen sind wir gefordert, «häre z’luege» (hinzuschauen) was unsere Schützlinge bewegt, was sie tun oder auch nicht tun.

Darum wünschte ich uns zum Start ins Schuljahr «schauendes Vertrauen». Ich sagte zum versammelten «Team»:

«Unser Umgang an der Schule ist von Vertrauen geprägt, jedoch nie von Gleichgültigkeit. Wir vertrauen einander und wir sehen einander.»

Blindes oder schauendes Vertrauen – darüber hatte ich mir letzten Sommer erstmals Gedanken gemacht. Ich fand diesen Gedanke spannend und habe mich gefreut, dass er auch vom Kollegium gut aufgenommen wurde.

Ich sehe dich!

Diese Äusserung kann man so oder so hören. «Ich sehe dich!», vor allem wenn der Satz mit erhobenem Zeigefinger ausgesprochen wird, kann man als Bedrohung hören: «Pass nur auf, was du tust, ich habe dich unter Kontrolle!».

Wenn ich zusammen mit meiner Frau jeweils Paare auf ihre Hochzeit hin begleiten darf, lassen wir uns in den Traugesprächen von Bibeltexten inspirieren. Bei einem Treffen schauen wir uns gemeinsam Psalm 139 an. In poetischer Sprache wird hier beschrieben, wie einzigartig und wunderbar der Mensch geschaffen ist.

Es ist auch davon die Rede, dass wir vor Gott nicht weglaufen können – er sieht uns überall.

Da ist es wieder: «Ich sehe dich!».

Was hörst du, wenn Gott das sagt? Fühlst du dich getragen? Denn: Egal was passiert, egal wo du bist, egal was du tust – er sieht dich, er ist da, du bist in seiner Liebe aufgehoben.

Oder macht es eng? «Was? Gott sieht die ganze Zeit auf mich? Ich will mich doch nicht von Gott kontrollieren lassen!».

Schauendes Vertrauen soll keine Bedrohung sein. Es hat mit Wertschätzung zu tun und einem positiven «Ich sehe dich!». Wir wollen alle gesehen und geschätzt werden.

Wir wollen gesehen werden, wenn es uns nicht gut geht, weil wir dann Ermutigung brauchen.

Wir wollen gesehen werden, wenn uns etwas besonders gut gelingt, weil wir dann gefeiert werden möchten. (Das kann so gut tun, hat therapeutische Wirkung – und wird so selten gemacht!)

Etwas weniger gern wollen wir gesehen werden, wenn uns etwas misslingt. Da braucht es dann die hohe Schule des schauenden Vertrauens. Ich muss meinem Gegenüber nicht sagen, was es schon selber herausgefunden hat (was schief gelaufen ist). Doch wenn ich nicht als Kontrolleur sondern als Coach schauend vertraue, finden wir gemeinsam Entwicklungsschritte, die sogar das Scheitern zu einer wertvollen Erfahrung machen.

Blindes Vertrauen kann Gleichgültigkeit bedeuten: «Mach einfach, ich hab genug mit mir selbst zu tun».

Schauendes Vertrauen hingegen ist ein Akt der Wertschätzung, die uns allen gut tut.

«Ich sehe dich!»

«Ich vertraue dir!»

«Ich unterstütze dich!»

Glücksaufgabe

In welchem Umfeld (Beruf, Familie, Verein …) könntest du die Aspekte vom schauenden Vertrauen umsetzen?

Dieser wertschätzende Umgang miteinander wird uns glücklich und stark machen!

Frage des Vertrauens

Und, hast du das Frühstück heute morgen überlebt?

Eine doofe Frage, ich weiss. Aber in einer Zeit, in der man nicht mehr weiss, wem man sein Vertrauen schenken kann, darf, soll, beginne ich mich mit komischen Fragen zu beschäftigen:

Was, wenn ich den Bauern im Lande nicht mehr trauen kann, weil sie möglicherweise der Milch ein Gift beisteuern?

Oder wie ist es mit dem Buschauffeur? Wird er mich – allenfalls gar im Schneesturm – sicher ans Ziel bringen?

Und die Autoindustrie: Wer sagt mir, dass mein Neuwagen nicht nach 10’000 Kilometer explodieren wird?

Das Leben ist lebensgefährlich. Ohne Vertrauen überleben wir da nicht lange. Wir alle leben tagtäglich aus dem Vertrauen heraus. Wer nur aus Angst lebt, lebt irgendwann nur noch zurückgezogen in seiner kleinen Welt – oder irgendwann gar nicht mehr.

Ich entscheide schon am Morgen, ob ich mit Vertrauen oder mit Angst in den Tag starten will – vom Lebensgefühl her, aber auch ganz praktisch: Die Milch am Frühstückstisch, daneben liegt die Tageszeitung: Hm, kann ich darauf vertrauen, dass der Journalist über tatsächliche Ereignisse berichtet oder verdreht er Fiktion in Fakten?

Und schon bald geht’s wirklich ans «Läbige»: Wenn ich meine Kinder anderen Menschen anvertraue – vertraue ich da auch wirklich? Oder wenn ich mich selbst den Händen eines Therapeuten anvertraue – vertraue ich darauf, dass mir geholfen wird?

Wer aktiv ins Leben eintaucht, steht andauernd vor der Vertrauensfrage.

Langzeitfolgen des Misstrauens

Es wird derzeit viel über Langzeitfolgen gesprochen – wahlweise meint man damit die Folgen einer Corona-Erkrankung (Long Covid), die vermuteten Folgen einer Impfung oder die psychischen und gesellschaftlichen Folgen von Social Distancing.

Ich frage mich, wie sich die Langzeitfolgen des gegenwärtigen Misstrauens manifestieren werden.

Das Hinterfragen von Autoritätspersonen ist keine neue Erscheinung. Und ich begrüsse, dass man durch verschiedene Strömungen mindestens seit der 68er-Bewegung bis zu «Me too» die Autoritätsgläubigkeit abgelegt hat und man sich bewusst wurde, dass auch die eigenen Idole nicht vor Fehltritten und falschen Entscheidungen gefeit sind.

Doch ich befürchte, dass gerade, wie so oft, das Pendel ins andere Extrem ausschlägt: Während die Verschwörungstheoretiker, für die alle Amtsträger ferngesteuert werden, eine kleine Randerscheinung sind, gibt es mehr und mehr Leute, die nur noch sich selbst trauen.

Und diese Entwicklung scheint mir für ein gesundes Miteinander als Gesellschaft nicht gerade förderlich.

Ich will meiner Nachbarin genauso wie meinen Gemeinderatskollegen, meinen Kindern genauso wie dem Journalisten meiner Lokalzeitung, meinen Freunden genauso wie meinen Ärzten, meinen Mitarbeitenden genauso wie meinem Bundesrat unterstellen, dass sie es grundsätzlich gut mit mir meinen.

In diesem Sinn habe ich diese Woche nach einer Tagung mein Fazit gezogen: Haltung vor Meinung.

Wir können uns in manchem uneinig sein. Und das ist auch völlig okay so. Aber wir sollten dabei Haltung bewahren: Eine Haltung des Vertrauens, des Respekts und des guten Willens.

Man kann das als naiv betrachten. Und tatsächlich wurde mein Vertrauen auch schon hier und da missbraucht.

Doch ich weigere mich in aller Deutlichkeit, all meinen Mitmenschen – ob Nachbarn oder Autoritätspersonen – in einer Haltung des Misstrauens zu begegnen.

Glücksaufgabe

Während der Pandemie ging vieles verloren, was uns als Gemeinschaft zusammenhält. Ich hab das selber in verschiedenen Gremien erlebt. Geselliges Zusammensein oder Networking ohne fixe Agenda fördert unser Miteinander (und unser Vertrauen zueinander) ungleich stärker als Zoom-Meetings.

Auch wenn wir unsere sozialen (physischen) Kontakte in den nächsten Monaten nochmals reduzieren müssen, bitte ich dich: Zieh dich nicht zurück in dein Schneckenhaus! Gib nicht dem Misstrauen gegenüber allen und allem Raum sondern frag dich, wie du dein Leben mit einem gesunden Vertrauen gestalten kannst.

Jetzt muss es raus!

Seit dem letzten Abstimmungs-Wochenende wissen wir es: Wir, die für einen Vernunft basierten Umgang mit der Pandemie einstehen, sind in der klaren Mehrheit. Bei allen Fragen, die auch wir haben, setzen wir auf Vertrauen gegenüber Wissenschaftler, Politiker und Behörden.

Aber wir sind eine leise Mehrheit.

Warum?

Weil wir alle in unseren Freundeskreisen oder auf Social Media schon die Erfahrung – oder mindestens die Beobachtung – gemacht haben, dass diskutieren mit euch, liebe Impfskeptiker und Corona-Massnahmen-Gegner, oft zwecklos ist. Argumente werden zu Glaubensfragen, Misstrauen gegenüber allem (ausser der eigenen Weltanschauung) dominiert. Wer es anders sieht als ihr, ist entweder der Lügenpresse auf den Leim gegangen oder hat sich längst in den Fängen von Bill Gates verstrickt.

Und genau darum und weil ich ja nicht zu weiteren Spannungen beitragen möchte, habe ich diese Woche nicht getan, was ich eigentlich den Eindruck hatte, tun zu sollen: Ein SRF-Beitrag mit Stephan Jakob, Chefarzt Intensivmedizin am Inselspital Bern, hat mich bewegt, mich sehr dankbar und gleichzeitig total wütend gestimmt. Ich wollte diesen Beitrag auf Facebook teilen. Aber dann sah ich, wie bei anderen, die dies getan hatten, heftig gestritten wurde.

Und dann liess ich es – ich will ja nicht Öl ins Feuer giessen.

Challenge akzeptiert

Es ist so verlogen und heuchlerisch, wenn die grosse Volkspartei, die sonst nicht besonders feinfühlig auftritt und gewöhnlich für das Ausschliessen von ganzen Menschengruppen Lärm macht, plötzlich vor Diskriminierung und Spaltung der Gesellschaft warnt.

Und noch schlimmer – das „kotzt“ mich (sorry der Ausdruck) und viele andere wirklich an: Wer mit dem Diktatur-Argument oder dem Nazi-Vergleich kommt, hat sich echt in wilden Verschwörungsmythen verrannt!

Wisst ihr eigentlich, was eine Diktatur ist? Da kann man nie – und schon gar nicht in einer Krisensituation – über politische Vorlagen abstimmen!

Wisst ihr eigentlich, was die Nazis mit den Juden gemacht haben? Muss ich es wirklich schreiben oder erinnert ihr euch an den Geschichtsunterricht und die Bilder der Gaskammern?

Warum ich jetzt doch so angriffig und pointiert schreibe, wenn ich doch verbinden statt trennen will? Weil die Not und die Hilfeschreie von Betroffenen – Patienten und Personal – aus den Spitälern nicht spurlos an mir vorbeigehen.

Und weil ein Post von Michael Diener, den ich als Mensch und Kirchenleiter sehr schätze, mich herausgefordert hat, aufzustehen und den Verschwörungsmythen entgegenzutreten. Diener schreibt: „Habt den Mut, zum Schutz des Lebens, zum Impfen aufzurufen und damit verbunden natürlich auch zur Verständigung. Wer jetzt nicht Farbe bekennt – und damit auch mithilft, dass eine die Gesellschaft noch weiter spaltende Impfpflicht vermieden werden kann – kann sich seine Aufrufe zu ‚Märschen für das Leben‘ zukünftig auch sparen.“

Das Virus verschwindet nicht einfach von selbst, das erleben wir diese Tage gerade eindrücklich. Wir werden in Zukunft damit leben müssen. Aber es gibt ein gutes Mittel, um den Schaden des Virus zu begrenzen.

Oder wie es ein Freund und Arzt kürzlich sagte: „Wie kann es sein, dass uns Gott in so kurzer Zeit eine nachweislich wirksame Impfung gegen das Virus schenkt und Menschen lehnen dieses Geschenk ab?“

Man kann die Impfung auch als Teufelszeugs abtun. Doch es wird gefährlich, wenn wir die Diskussion in die eine oder andere Richtung religiös aufladen.

Darum appelliere ich zum Schluss an den gesunden Menschenverstand, der anfangs der Pandemie so lauthals eingefordert wurde: Wenn eine überwältigende Mehrheit der Experten zum Schluss kommt, der einzige Weg aus der Krise liegt in einer hohen Impfquote, warum kann man sich da nicht mit einem gesunden Grundvertrauen und aus gesellschaftlicher Solidarität zum Picks überwinden?

Glücksaufgabe

Die Pandemie ist ein Härtetest für unsere Lebenszufriedenheit. Ich hab wirklich genug von den chaotischen Zuständen und der totalen Planungsunsicherheit.

Darum meine Frage: Was können du und ich zur Überwindung der Pandemie beitragen?

Ein erster Schritt könnte sein, diesen 15minütigen Videobeitrag zu schauen und die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen:

Wegschauen?

Wie geht es dir mit all den Katastrophen auf der Welt? Mich machen sie ziemlich ohnmächtig und die ganze Corona-Situation macht es nicht einfacher.

Einmal mehr wurde ich vom  Magazin Family und FamilyNEXT gefragt, wie ich damit umgehe, was mir hilft, wenn ich mich ohnmächtig gegenüber den Katastrophen fühle.

Hier meine Antwort:

Was mir gegenwärtig hilft? Ganz ehrlich? Wegschauen! Rückzug in meine kleine „heile Welt“. Na klar, die ist ja auch nicht immer so heil, doch die Probleme in meiner kleinen Welt – Reisebeschränkung wegen Corona, Badeverbot wegen Hochwasser, kein Frischbrot im Regal kurz vor Ladenschluss – sind ja vergleichsweise wirklich kleine Probleme, schon fast lächerliche.

So einfach und bequem der Rückzug in meine kleine Welt scheint, so unbefriedigend ist er auf der anderen Seite: Was gibt mir das Recht, mein geschenktes Leben in einem privilegierten Teil der Welt – und dazu noch an einem der schönsten Flecken – zu geniessen, während anderswo Menschen zuschauen müssen, wie Flammen oder Fluten ihre ganzes Habe innert Sekunden zerstört? Oder Menschen tagtäglich unter Armut, Hunger, Ungerechtigkeit zerbrechen? Die Liste liesse sich beliebig erweitern – Syrien, Afghanistan, Haiti …

Und dann kommt sie, die Ohnmacht. Ich fühle mich wirklich ohnmächtig den Katastrophen dieser Welt gegenüber. Ob Naturkatstrophen, Kriege oder die riesige Ausbeutung von Mensch und Natur – was kann ich da schon tun? Noch schlimmer: Mit meinem mitteleuropäischen Lebensstil bin ich sogar Teil vom Problem. Doch Gott hat uns beauftragt, Teil der Lösung zu sein.

Ich will mich der Ohnmacht stellen, statt wegzuschauen. Ich will im Kleinen beginnen, Teil der Lösung zu sein, statt den Kopf in den Sand zu stecken. Das ist mein Anfang. Und dann will ich herausfinden, wie ich die drei grossen göttliche Aufträge in meinem Leben umsetzen kann:

1. Bebaut und bewahrt die Erde! (1. Mose 2,15)
2. Liebe Gott und deine Nächsten wie dich selbst! (Markus 12,30f)
3. Machet zu Jüngern alle Völker! (Matthäus 28,19).

Und wenn ich meine Verantwortung wahrnehme, darf ich auch mit gutem Gewissen meine kleine Welt geniessen.

Dieser Artikel ist zuerst als Kolumne in der Rubrik „Das hilft mir, wenn …“ im Magazin Family und FamilyNEXT erschienen.  

Glücksaufgabe

Und was hilft dir im Blick auf das aufkommende Ohnmachtsgefühl bei all den Katastrophen? Wegschauen? Rückzug? Aktivismus?

Ich möchte echt häufiger Teil der Lösung als Teil des Problems sein. Und dies beginnt wohl mit dem ehrlichen, unbequemen Blick in den Spiegel.

Aber Achtung: Der Weg zum Ziel ist lang! Darum lass uns einen kleinen Schritt nach dem anderen gehen. Die Folge wird Glück für viele statt für wenige sein.

Ich will frei sein!

«Liberté» dröhnte es gestern durch Berns Gassen. Es folgten unschöne Szenen mit einem Mix aus Blumen, Grabkerzen, Bierdosen und Böller der Demonstrierenden. Was mit einem Einsatz von Wasserwerfer, Reizgas und Gummischrot quittiert wurde.

Von welcher Freiheit sprechen wir da?

Vielleicht kommen wir dem Problem unserer Zeit am ehesten auf die Schliche, wenn wir uns an das Trio erinnern, aus welchem der Ruf nach «Liberté» stammt:  

Liberté – Égalité – Fraternité

«Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit» – statt Brüderlichkeit wird gerne zeitgemässer Solidarität genannt – dieses Trio von Schlagwörtern bedingt sich gegenseitig. Wenn dies nicht mehr der Fall ist, kann aus «Liberté» schnell einmal ein egoistischer Individualismus resultieren, in dem jede und jeder für sich schaut – eine Gesellschaft, die sich vom WIR zum ICH auseinanderdividiert.

Es kann durchaus gefährlich sein, mit Schlagwörtern um sich zu werfen, ich weiss. Ich wage es trotzdem: Führt diese Form von egoistischem «Liberté» zu Ende gedacht nicht zu einer Art Anarchie?

Heute passen mir die Corona-Massnahmen nicht, morgen ist es die Wehrdienstpflicht und übermorgen nehme ich mir die Freiheit, den Linksverkehr auf unseren Strassen einzuführen.

In einer freien Gesellschaft muss Freiheit immer als gemeinschaftliches Gut des WIRs betrachtet werden. Eine absolute ICH-Freiheit ist nur möglich in einer vollständigen Einsamkeit – also dort, wo ich mich aus der Gemeinschaft zurückziehe.

Doch so lange ich Teil einer Gemeinschaft bin, zählt, was schlaue Denker schon vor hunderten von Jahren gesagt haben:

«Die Freiheit des Einzelnen endet dort,
wo die Freiheit des Anderen beginnt.»
Immanuel Kant (1724-1804)

«Die Freiheit besteht darin, dass man alles das tun kann,
was einem anderen nicht schadet.»
Matthias Claudius (1740-1815)

«Die Freiheit des Menschen liegt nicht darin,
dass er tun kann, was er will,
sondern darin, dass er nicht tun muss, was er nicht will.»
Jean-Jacques Rousseau (1712-78)

Eine freie Gesellschaft ist nur frei, wenn die Freiheit für alle gilt (Gleichheit). Dies zeigt sich beispielsweise in der Meinungs- oder Handlungsfreiheit. Doch diese Freiheit kann nicht damit gleichgesetzt werden, dass es keine Regeln mehr gibt.

Ich bin kein Freund einer bürokratischen Überreglementierung. Noch weniger bin ich jedoch Freund von willkürlichen Regeln und fragwürdiger Regelauslegung. Ob im Fussball oder im Strassenverkehr: Nicht die Menge der Regeln macht es aus, sondern die Klarheit und dass man sich gemeinsam dafür verpflichten, nach diesen Regeln «zu spielen».

Freiheit – Gleichheit, und da wäre dann noch die Solidarität. In einem so freien Land wie der Schweiz «Liberté» zu brüllen und dabei die Freiheit anderer derart mit Füssen zu treten, ist nicht die Freiheit, von der ich träume.

Wo bleibt da die Solidarität mit all den Verantwortungsträgern in Politik, Wissenschaft, Gesundheitswesen, Bildung … die seit rund 20 Monaten im Ausnahmezustand nach bestem Wissen und Gewissen ihre persönliche Freiheit dem Allgemeinwohl unterordnen?

Ich erlebe Leute, die glauben tatsächlich, all diese ernsthaften Menschen, die ihr Bestes geben, seien sowieso alle ferngesteuert – von wem auch immer, Bill Gates oder dem Teufel persönlich – oder aber, alle Mandatsträger – von Politik bis Kirche – würden ihr Amt sowieso nur aus persönlichem Interesse und Machtgier ausführen.

Wir alle machen Fehler – darum geht es hier nicht. Und ich will auch niemanden auf ein überhöhtes Podest hieven. Trotzdem habe ich Hochachtung von dem, was in unseren Spitälern, aber auch im Bundeshaus geleistet wird.

Und vor allem habe ich grosse Achtung und Dankbarkeit dort, wo ich ganz direkt mitkriege, wie sich Menschen dafür einsetzen, diesem fiesen Virus den Stecker zu ziehen: «Mein» Schulleitungsteam, das bis ans Ende der persönlichen Kräfte im Corona-Modus seine Arbeit tut.

Pierre Alain Schnegg, den ich kürzlich in einem Talk sehr demütig erlebte (wir haben übrigens ein Podcast davon). Oder der Vorsteher des Volkschulamtes, der aufrichtige Arbeit leistet …

«Liberté» zu schreien, ist einfach. «Fraternité» – oder eben Solidarität – zu leben und Verantwortung für die Gemeinschaft zu übernehmen, ist eine andere Sache. Das heisst auch verzichten – zum Beispiel auf einen Teil der ICH-Freiheit, damit die WIR-Freiheit nicht verloren geht.

Glücksaufgabe

Was bedeutet für dich Freiheit? Ich genoss neulich die neue Freiheit dank Zertifikat im Wellness-Hotel oder beim gemeinsamen Essen in der Kirche.

Aber Freiheit ist ja viel mehr als keine Maske tragen zu müssen. Oder Halt: Genau das ist doch die grösste Freiheit! Wirklich frei ist, wer keine Maske (im übertragenen Sinn) aufsetzen muss, sondern ganz sich selbst sein kann und sich (trotzdem) aufgehoben in der Gemeinschaft fühlt.

(Wo) erlebst du solche (innere) Freiheit?

Und noch etwas in eigener Sache …

Ich will meine Verantwortung für Mensch und Umwelt wahrnehmen – als Pfarrer und als Politiker.

Darum stelle ich mich anfangs November zur Wiederwahl als Gemeinderat. Und deshalb möchte ich in einem halben Jahr in den Berner Grossrat gewählt werden.

Unterstützt du mich dabei?
Wie du dies tun kannst, erfährst du demnächst in Stef’s Polit-News. Gerne lade ich die dazu ein, diese jetzt zu abonnieren.

Das macht mich traurig!

An der Beerdigung meiner Grossmutter schluchzte mein Onkel herzhaft. Das hat mich berührt. Ich kann das nicht. Flennen tu ich sehr selten.

Überhaupt: Meine Frau reagierte sehr erstaunt, als ich ihr davon erzählte, dass ich diesmal für die Family-Kolumne «Das hilft mir, wenn …» über Traurigkeit schreiben soll. «Traurig? Du bist doch gar nie traurig», gab sie zu bedenken.

Das heisst jetzt nicht, dass ich eine immer lächelnde Frohnatur bin. Aber die Emotion Traurigkeit ist tatsächlich weniger Teil meines Repertoires. Wenn sich die Tage bei mir grau anfühlen, hat dies eher mit Enttäuschung oder Frustration zu tun.

Aber es gibt schon etwas, das mich traurig macht: Ob christliche Kirche oder Gesellschaft als Gesamtes – es ist mein Wunsch, dass wir Menschen uns weniger in Grabenkämpfen verlieren, und wir dafür vermehrt zu Brückenbauer werden. Es muss nicht jede und jeder die Welt aus der gleichen Brille betrachten und alle sind eingeladen, ihre eigene Farbe ins grosse Bild der Menschheit einzubringen, doch die Art, wie dies oftmals geschieht, macht mich traurig.

Ich habe recht und du bist ein Idiot

Der Riss mitten durch die Gesellschaft («Social Splitting») nimmt diese Tage eine beängstigende Tiefe an. Die Corona-Pandemie spaltet Familien, Freunde und eben auch uns als Gesellschaft: Anfangs war Nachbarschaftshilfe gross in Mode, doch mit der Zeit ging es mehr und mehr darum, dem anderen das eigene Weltbild aufzudrücken. Und das Covid-Zertifikat bildet das Symbol des gegenwärtigen Tiefpunkts der gesellschaftlichen Spaltung.

Es gibt Fragen – rund um Corona oder auch das in christlichen Kreisen heisse Eisen Homosexualität – die sind so komplex, da hüte ich mich vor einfachen Antworten. Leider finden aber gewisse Menschen sich grundsätzlich kompetent genug, immer und überall besserwisserisch aufzutreten und dann bald mehr Hass als Liebe zu säen.

Das macht mich traurig.

Was mir darin hilft? Emotionen sind die Sprache der Seele. Also will ich erst einmal zuhören: Was will mir diese Emotion sagen? Tagebuch oder Spaziergang helfen mir beim Sortieren. Nach der Reflexion sollte die Aktion folgen. Die Emotion führt dazu, dass ich erst recht von einer besseren (Christen)Welt träume, die von einem liebevollen Miteinander geprägt ist. Und dafür will ich mich einsetzen – ob mit oder ohne Tränen im Gesicht.

Dieser Artikel ist (in etwas gekürzter Version) zuerst als Kolumne in der Rubrik „Das hilft mir, wenn …“ im Magazin Family und FamilyNEXT erschienen.  

Glücksaufgabe

Tatsächlich fällt es auch mir nicht einfach, in Diskussionen immer liebevoll zu bleiben. Die beiden genannten und in der Schweiz sehr aktuellen Themen («Ehe für alle» und Corona-Zertifikat) haben auch bei mir das Potenzial, hohe Wellen zu werfen. Zu beidem habe ich eine klare Haltung, die in gewissen Kreisen nicht gerne gehört wird. Wie schaffe ich es, ruhig meine Argumente vorzubringen ohne mein Gegenüber zu denunzieren?

Ich versuche, meine Überzeugungen und Erfahrungen ruhig in Diskussionen einzubringen – mit der Offenheit, dass ich mich irren kann (weil die Themen ja eben hochkomplex sind) und mein Gegenüber seine unterschiedliche Meinung behalten kann.

Mehr Glück im Leben erfährt, wer nicht immer recht haben muss und wer mit der Haltung «Es ist genug Liebe für alle da» seinen Platz in der Gesellschaft einnimmt.

Nicht auf meine Kosten!

Gestern schaute ich mir einen Krimi an, indem sich ein Klimaaktivist nicht länger damit zufrieden gab, Plakate mit Warnbotschaften à la „Es gibt keinen Plan(et) B“ in die Luft zu strecken. Die Leute liessen sich davon weder beeindrucken noch bewegen, meinte er, darum bräuchte es jetzt ein kraftvolleres Vorgehen.

In seinem Fall hiess dies: Stromausfall im Stadtteil zu provozieren oder SUVs im Autohaus zu besprayen. Ich finde auch: Reden ohne zu handeln, bringt wenig. Doch aus meiner Sicht sind solche illegalen Aktionen, vor allem wenn andere zu Schaden kommen, wenig zielführend, resp. ethisch nicht verantwortbar. Mit kreativen Aktionen eine breite Bevölkerung auf eine notvolle Situation aufmerksam zu machen, ist das Eine. Mit einer solchen Aktion bewusst jemandem Schaden zuzuführen, ist etwas anderes.

Die Ansicht, dass es höchste Zeit ist zum Handeln, teilen inzwischen viele. Die farbigen Plakate der streikenden Klimajugend und die eindringlichen Worte von Greta alleine reichen nicht aus. Doch wie so oft herrscht grosse Uneinigkeit, wie der Weg zum Ziel auszusehen hat. Die hochemotionalen Debatten rund um die drei Umweltvorlagen, die am 13. Juni zur Abstimmung kommen, geben einen Eindruck davon.

Stolz auf „gesunden Volksverstand“

Unser Schweizer System mit der direkten Demokratie ist einzigartig und erhält viel Bewunderung. Ich erinnere mich, wie wir Freunden in Chicago unser System zu erklären versuchten. Gary stellte erstaunt und bewundernd fest, dass ein so kleines Land weltweit in vielen Bereichen top aufgestellt und nie in grosse Konflikte verwickelt sei.

So sehr ich eigentlich Freund von klarem Leadership bin, so sehr überzeugt mich der Schweizer Weg mit einem Mix von Neutralität, Kollegialitätsbehörden und direkter Demokratie. Gerade der Volkswille hat eine ausgleichende Kraft und unser System mag zwar schwerfällig sein, doch wir holen alle anderen Länder wieder auf, weil wir nicht den mühsamen Zickzack-Kurs von links nach rechts, von Regierung zu Opposition gehen müssen. Als lösungsorientierter Mittepolitiker ist mir diese Lösungssuche in Sachfragen sowieso viel lieber als ein starres Rechts-Links-Muster.

Auch wenn ich persönlich nicht mit jeder Abstimmung glücklich bin, erfüllt mich die Schweizerische Eigenheit mit den regelmässigen Willensbekundungen der Bevölkerung mit Stolz und Dankbarkeit. Dankbarkeit, in einem Land leben zu dürfen, in dem das Wir über wichtige Frage entscheiden darf. Und Stolz, weil der Volkswille nicht einfach von einem „Volksegoismus“ getrieben ist, sondern ganz oft die Vernunft über persönlichen Vorteilen obsiegt.

Noch immer habe ich einen deutschen Kollegen im Ohr, der meinte, es würde wohl kein anderes Land per Volksabstimmung zusätzliche Ferienwochen ablehnen. Während mir in der ganzen Corona-Diskussion doch erhebliche Zweifel am viel zitierten „gesunden Menschenverstand“ kamen, glaube ich an so etwas wie einen „gesunden Volksverstand“. Als Einzelne mögen wir uns in einer Sache verrennen, als Volk werden wir gemeinsam immer wieder einen gangbaren Weg finden.

„I bi dr gäge – wägem Töfflifahre“

Dieser „gesunde Volksverstand“ funktioniert aber nur so lange gut, wie wir alle die Fähigkeit besitzen, einen Schritt zurückzutreten und versuchen eine Sachlage in grösseren Zusammenhängen als der eigenen Lebensrealität zu betrachten.

Die gegenwärtigen Diskussionen um das CO2-Gesetz zeigen, wie umkämpft dieses Miteinander vom Ich und dem Grossen Ganzen ist. Meinem Sohn, der den haushälterischen Umgang mit seinem Jugendlohn noch am Einüben ist, kann ich verzeihen, wenn er, im Grunde atypisch für seine Ansichten, auf SVP-Parolen aufspringt und sagt: „Ich würde nein stimmen, ich will doch nicht, dass die Tankfüllung für mein ‚Töffli‘ (Mofa) teurer wird.“

Dass seine Rechnung wahrscheinlich nicht mal stimmt, weil er ja Töffli fährt, aber nicht in der Welt herumjettet und somit mehr Geld zurückkriegt, ist hier nur eine Nebensache.

Was mich beschäftigt, ist, dass der „gesunde Volksverstand“ genauso wie der „gesunde Menschenverstand“ bedroht ist. Er wird verloren gehen, wenn wir uns vom bequemen Egoismus treiben lassen: Der persönliche Profit sollte nicht das Mass aller Dinge sein bei unseren Entscheidungen – weder bei Volksabstimmungen noch im persönlichen Verhalten.

Ganz nach dem Motto: Klimaneutralität ist super – so lange ich mich nicht beschränken muss. Windenergie ist super – so lange das Windrad nicht in meiner Nähe aufgebaut wird.

Ich hoffe, dass auch bei den kommenden Abstimmungen der „gesunde Volksverstand“ über den persönlichen Profit gewinnen wird.

Glücksaufgabe

Beteilige dich an der Abstimmung, denn das macht glücklich.

Mindestens die Tatsache, dass wir die Möglichkeit haben, via Volksabstimmungen zu partizipieren macht nachweislich glücklich (das zeigen Ländervergleiche). Ob wir das Stimmrecht auch wirklich beanspruchen, ist dann eine andere Sache.

Der Wind in meinem Leben

Ich bin total entspannt: Heute Morgen hab ich noch die letzten Sonnenstrahlen genutzt, um mit meiner Frau unseren Aare-Spaziergang zu machen – auf halber Strecke wurden wir jedoch bereits vom Regen begrüsst.

Früher, als Hauptleiter einer Jungschar, wäre ich an einem so verregneten Freitag vor Pfingsten alles andere als entspannt gewesen: Zelte aufbauen oder gleich in der Zivilschutzanlage das Nachtquartier einrichten? Welche Programmteile des Pfingstlagers (PfiLa) müssen umgestaltet werden, was kann wie geplant durchgeführt werden?

Nun gut, eigentlich gehört ja Regen fest in eine PfiLa-Planung dazu …

Neben der Erinnerung an nasskalte und trotzdem geniale PfiLas (Pfingstlager) mit der Jungschar – und der Nostalgie des Cup-Finales am Pfingstmontag im Wankdorfstadion – ist Pfingsten für mich die schöne Zusage Gottes, dass er uns nicht alleine lässt: Der gute Geist Gottes will uns tröstend und helfend zur Seite stehen. Mehr noch! Der Heilige Geist will uns nicht nur be-geleiten, sondern uns gar an-leiten.

Mit Rückenwind unterwegs

Die Bibel vergleicht den göttlichen Geist unter anderem mit dem Wind. In meiner Auseinandersetzung mit der Glücksthematik brauche ich das Bild des Windrades. Und genau da kommt dieser Wind ins Spiel: Was wäre ein Leben ohne Wind? Hier steht der Wind für eine gelebte Spiritualität und die Sinnhaftigkeit im Leben.

Und welcher Wind ist der Antrieb meines Engagements in Kirche, Gesellschaft und Politik? «Suchet der Stadt Bestes und betet für sie!», lesen wir bei Jeremia. Das ist mein Leitmotiv für mein vielseitiges Wirken.

So will ich beispielsweise eine Sachpolitik betreiben, die das göttliche Wohlwollen für seine Geschöpfe und seine Schöpfung zum Ausdruck bringt. Dabei will ich bewusst die Kraft und Führung des Heiligen Geistes in Anspruch nehmen. Er darf und soll der Wind in meinem Leben sein – auch in meinem Politisieren.

Und darum will ich als Pfarrer der Gesellschaft dienen – nicht bloss einem kleinen Kreis von Gleichgesinnten. Unsere Aktivitäten als Kirche sollen zum Wohl aller beitragen. Das heisst dann:

Verantwortung übernehmen – lokal und global.

Brücken bauen – statt Fronten zu zementieren.

Menschen dienen – praktisch, unbürokratisch, konkret.

Pfingsten steht für die Hoffnung, dass eine andere Welt möglich ist. Eine Welt, nicht getrieben von egoistischer Gier, sondern angetrieben vom guten Geist Gottes, der alle Menschen beflügeln will.

(Teile aus diesem Artikel sind als Kolumne in der Zeitung Berner EVP 2/2021 erschienen.)

Glücksaufgabe

Falls du während dem Pfingstweekend nicht gerade umziehst oder in einem Pfila bist, habe ich dir hier einen Glückstipp: Zusammen mit der Hirnforscherin Barbara Studer durfte ich als Talk-Gast beim Livenet-Talk «Was kann ich zu Glück und Gesundheit beitragen?» mitwirken.

Und falls du lieber liest als den Talk zu schauen, gibt es im Artikel Livenet-Talk: Was kann ich zu Glück und Gesundheit beitragen? eine gute Zusammenfassung davon.

Zufriedener Staatsbürger oder Wutbürger?

Ich zahle gerne Steuern. Und seit ich im Gemeinderat sitze, noch viel lieber.

Zugegeben: Bisher habe ich mein Leben lang auch noch nicht wirklich sehr viel Steuern bezahlen müssen. Und wenn sich im Verlauf der letzten zehn Jahren unser Steuerbetrag deutlich erhöht hat, ist dies ein schöner Beweis dafür, dass sich unser Einkommen langsam dem durchschnittlichen Haushaltseinkommen annähert. Die Steuerrechnungen sind für mich also schon nur darum ein Grund zur Dankbarkeit.

Doch seit ich in der Exekutive sitze, wird mir der Gegenwert meiner Steuern viel bewusster. Es gibt unterschiedlichste Bereiche, in denen meine Familie und ich vom Gemeinwesen profitieren, aber belassen wir es bei einem Beispiel aus meinem eigenen Ressort (Bildung).

Diesen Sommer schliesst unser zweites Kind seine obligatorische Schulzeit ab. Für ein Schuljahr rechnen wir pro Schülerin und Schüler mit Kosten von ca. 10’000 Franken.

Die Rechnung ist wirklich einfach: Zwei Kinder, je 11 Schuljahre = rund 220’000 Franken.

Der Staat liess sich die obligatorische Schulkarriere unserer Kinder knapp eine Viertelmillion Franken kosten. Und da sind Mittelschule oder Berufsausbildung noch gar nicht mitgerechnet.

Bis der Staat eine Viertelmillion von mir erhält, muss ich bei meinem aktuellen Steuerbetrag gut und gerne 35 Jahre Steuern einzahlen.

Fazit für alle, die es weniger mit Zahlen haben: So gerne wir alle jeden Steuerfranken lieber in Ferien investieren würden, die meisten von uns profitieren weit mehr von den Leistungen des Staates als sie jemals dafür bezahlen werden.

«Frage nicht …»

Neulich, genau ein Jahr vor dem grossen Wahltag, habe ich meinen Wahlkampf für den Grossrat (Berner Kantonalparlament) lanciert. Für dieses Mailing hab ich nach einem Aufhänger gesucht und da kam mir mal wieder das bekannte Zitat von John F. Kennedy in den Sinn:

Frage nicht, was dein Land für dich tun kann,
sondern was du für dein Land tun kannst!

Ich war mir aber unsicher, ob ich diesen Spruch verwenden sollte: Ist er nicht abgedroschen? Oder zu pathetisch? Und überhaupt – passt er in der aktuellen (Krisen)Situation?

Nach einigem Abwägen entschied ich mich, das Zitat zu verwenden – jetzt erst recht!

Es ist so einfach – und derzeit unheimlich beliebt – gegen den Bundesrat, den Regierungsrat, den Gemeinderat oder auch gegen die Schule zu wettern.

Sie alle machen alles falsch. Nur die, die sich beschweren, anklagen oder gar verurteilen, sie machen scheinbar alles richtig.

Ist das nicht etwas gar einfach? Natürlich habe auch ich meine Fragen. Ob der Bundesratsentscheid von letztem Mittwoch wirklich schlau war oder wir schon bald eine ghörige Retourkutsche auf uns zukommen sehen werden – ich weiss es nicht.

Was ich weiss: Ich hätte nicht im Budesratszimmer sein wollen und diesen Entscheid fällen müssen.

«Wer sich einsetzt, setzt sich aus!», hat in jungen Jahren jemand zu mir gesagt. Und tatsächlich: Jedes Mal, wenn ich irgendwo Verantwortung übernehme oder mutig voran gehe, gibt es auch Leute, die meinen Einsatz nicht nachvollziehen können.

Was ist die Alternative? Motzen statt anpacken kann es aus meiner Sicht nicht sein: «Wer immer etwas auszusetzen hat, bewegt wenig!»

Die unerhörte Anspruchshaltung in unserer Gesellschaft gibt mir zu denken. Dabei sind wir sehr weit weg von dem, was John F. Kennedy sagte. Es wird mehr danach gefragt, was unser Land für uns tun und lassen sollte. Menschen, die sich für das Gemeinwohl engagieren, sind leider selten geworden.

Schade eigentlich! Gemeinsam könnten wir vieles zum Guten bewegen.

Glücksaufgabe

Wie hast du es mit den Steuern? Warum könnte Steuern bezahlen auch etwas mit Dankbarkeit zu tun haben?

Was heisst der Spruch von John F. Kennedy für dich? Was kannst du für dein Land tun?

Beschenkt im Unterwegssein

Es gibt da rund um Ostern diese Geschichte von zwei Männern aus dem Freundeskreis von Jesus, die von Jerusalem nach Emmaus unterwegs waren – voller Irritation und Enttäuschung, Trauer und Mutlosigkeit.

Aus irgendeinem Grund liebte unser Sohn diese Geschichte in seiner Kinderbibel ganz besonders, immer und immer wieder wollte er, dass wir ihm genau diese Geschichte erzählten.

Und tatsächlich: Es ist eine wunderschöne Geschichte, die auch uns heute viel mitgeben kann.

Am Ziel angekommen, sagen die beiden Freunde zueinander: »Brannte nicht unser Herz in uns …?« Oder in einer anderen Übersetzung heisst es: »Hat es uns nicht tief berührt …?«.

Ich sehe sie vor meinem inneren Auge, wie sie sich niedergeschlagen auf ihre Wanderung machen. Am Ziel angekommen, dann wenn ich müde von den Anstrengungen wäre, sprang ihr Herz vor Freude – so sehr, dass sie – wenn sie denn heute leben würden – sofort eine Insta-Story gepostet hätten und in ihrer WhatsApp-Chatgruppe »Follower of Jesus« geschrieben hätten: »Ihr glaubt nicht, was uns gerade passiert ist …«.

Da sich die Geschichte aber vor rund 2000 Jahren abspielte, blieb ihnen nichts anders übrig, als nochmals die mehrstündige Wanderung unter ihre Füsse zu nehmen, um ihre Freude mit ihren Freunden teilen zu können.

Als Weggemeinschaft unterwegs

Was ist geschehen? Was war der Grund für diesen frappanten Stimmungswechsel?

Die beiden Freunde, auch Emmaus-Jünger genannt, sind also traurig, irritiert und voller Fragen unterwegs. Sie reflektieren die Geschehnisse der letzten Tage: Eben noch – gerade mal eine Woche ist es her – wurde ihr Freund und Rabbi Jesus triumphal als König in Jerusalem willkommen geheissen, nach intensiven Tagen genossen sie eine feierliche Mahlzeit mit dem gemeinsamen Abendmahl; dann ging es Schlag auf Schlag – Verhaftung von Jesus, (Schein)Verhör, Anschuldigungen des manipulierten Mobs, Misshandlung, qualvoller Weg nach Golgatha, Leiden am Kreuz, letztes Aufschreien ihres Lehrers, Tod.

Aus und vorbei. Tod ihres Freundes, Tod einer Bewegung, Tod einer Hoffnung.

Zu allem Übel dazu wurde nun auch noch der Leichnam gestohlen; das Grab ist leer, voll sind dafür Kopf und Herz der zurückbleibenden Freunde: voller Irritation, Verunsicherung und Fragen.

Das kommt mir bekannt vor: Für mich bleibt das Leben immer wieder ein Rätsel. Dann geht es mir wie den beiden Emmaus-Jünger – traurig, irritiert, voller Fragen.

In dieser Gefühlslage sind sie also auf ihrem Weg unterwegs. Plötzlich schliesst sich eine dritte Person dieser fragenden Weggemeinschaft an. Es ist Jesus selbst, der Auferstandene. Nein, sein Leichnam wurde nicht gestohlen, er ist nicht (mehr) tot, die Hoffnung lebt, die Bewegung wird sich von jetzt an über die ganze Welt ausbreiten wird selbst 2000 Jahre später eine wachsende Bewegung sein.

Doch von all dem wissen die Freunde noch nichts, sie erkennen nicht einmal ihren Freund Jesus. Im Gegenteil, schon fast überheblich sagen sei zu ihm: «Du bist wohl der Einzige, der nicht versteht, was hier gerade abgeht!?».

Doch, doch, das tut er schon. Aber es gehört zu seiner Art, dass er sich erst mal den Fragen der Emmaus-Jünger annimmt, zuhört, bevor er spricht. Und dann hilft er ihnen die Zusammenhänge zu erkennen, ganz am Ende der Begegnung gibt er sich zu erkennen. Jetzt gibt es für die Freunde kein Halten mehr: Ihr Herz springt vor Freude. Jesus lebt! Das müssen sie sofort Petrus und den anderen erzählen … Mit neuer Kraft und Zuversicht machen sie sich beschwingt nochmals auf den Weg.

Genau wie die Emmaus-Jünger wünsche ich mir, mit den Menschen um mich herum als «Weggemeinschaft» dem Geheimnis des Lebens und Glaubens auf die Spur zu kommen. Und dies ganz im Jesus-Stil: Zuhörend, nachfragend, liebevoll, nicht verurteilend, fragend, suchend, offen.

Die Rätsel unserer Zeit mögen gross sein.

Die Verunsicherung dieser Tage mag gross sein.

Deine persönlichen Herausforderungen mögen gross sein.

Noch grösser bleibt das Wunder von Ostern:
Jesus hat den Tod besiegt.
Alles Quälende wird nicht das letzte Wort haben.
Weil das letzte Wort ein gutes Wort sein wird.
Denn: Jesus lebt!

Der Auferstandene möchte auch heute in uns leben und Teil unserer Weggemeinschaft sein!

Frohe und gesegnete Ostern!