Wenn alles spriesst …

Ich erlebe gerade einen zweiten Frühling!

Nein, es geht nicht um eine andere Frau.

Vor einem Vierteljahrhundert habe ich mir als engagierter Jugendarbeiter und junger Theologiestudent ausgemalt, wie eine Kirche für Menschen von heute aussehen müsste: Kreativ, lebensnah und gesellschaftsrelevant.

Mit viel Enthusiasmus machte ich mich zusammen mit anderen Menschen – und bald auch schon mit meiner zukünftigen Frau – an die Arbeit: Aus Träumen wurden konkrete Visionen, aus Ideen praktische Schritte, aus neugierigen Mitmenschen motivierte Mitstreiter.

Beruflich war das mein erster Frühling: Im Gepäck hatte ich viele ermutigende Erfahrungen aus der Freiwilligenarbeit mit jungen Menschen (Jungschar und Jugendverein) und jetzt wurde ich dafür bezahlt, meinen Traum zu leben.

Naiv, wie man nur mit Frühlingsgefühlen und Schmetterlingen im Bauch sein kann, habe ich gedacht, die Welt hätte auf uns gewartet. Zwar zogen unsere speziellen Brunch-Gottesdienste teils über 200 Menschen an. Doch als die erste Neugier gestillt war, blieb ein kleiner, harter Kern an Mitstreitern übrig. Unsere Aktivitäten waren für viele eine willkommene Abwechslung zum normalen Kirchenalltag – aber irgendwie auch nicht viel mehr.

Nach den Frühlingsgefühlen war schnell klar: Unsere Berufung als Paar – inzwischen Eltern – wird kein Spaziergang (schon bald klang Xavier Naidoo in Dauerschleife in unseren Ohren: «Dieser Weg, wird klein leichter sein»).

Unzählige gute Begegnungen, leuchtende Kinderaugen, geniale Projekte … das gehörte immer zu unserem Weg. Und doch nagte schon bald und immer öfters die Frage nach dem «Return on Investment (ROI)» – spätestens als der Arbeitgeber die Projektunterstützung nach 10 Jahren auslaufen liess, wurden diese Fragen existenziell.

Noch näher als die Frage nach dem betriebswirtschaftlichen ROI war mir auf diesem Weg ein Zuspruch aus den Psalmen:

«Die mit Tränen säen,
werden mit Freuden ernten.
Sie gehen hin und weinen
und tragen guten Samen
und kommen mit Freuden
und bringen ihre Garben.»
Die Bibel, Psalm 126,5+6

Freude unterwegs

Letzten Montag war ich – wie etwa seit zwei Jahrzehnten vierteljährlich – bei meinem Coach. Er hat all mein berufliches Auf und Ab durch meine Erzählungen hautnah miterlebt und mich darin unterstützt, in allem Hinterfragen meinen eigenen Weg zu finden.

Und als ich also letzten Montag von so viel Gutem erzählen konnte, das ich in letzter Zeit und insbesondere in den letzten drei Monaten erleben durfte, staunten und freuten wir uns beide herzlich.

Foto: Melanie Blaser-Gfeller

Ich fühle mich tatsächlich beruflich gerade in einem zweiten Frühling: Die Veränderungen per 1. Januar (politische und andere Mandate aufgegeben, dafür Pfarrertätigkeit von 60 auf 100 % aufgestockt, neue regionale Verantwortung) fühlten sich sofort stimmig an und die vielen guten Begegnungen mit Menschen der Region lassen mich hoffnungsvoll vorwärtsblicken. Es ist noch nicht ein «mit Freuden ernten», wie es das Psalmwort sagt. Aber es ist ein verheissungsvolles Spriessen wie im Frühling.

Dieses Frühlingsgefühl wirkt sehr motivierend. Es ist nicht mehr die jugendliche Naivität wie im ersten Frühling. Doch mit den vielen gesammelten Erfahrungen kann ich in meinem zweiten Frühling hoffentlich mit mehr Weisheit agieren.

Was mich zuversichtlich stimmt: In den letzten Wochen habe ich ganz viele Menschen zwischen 30 und 90 Jahren getroffen, die sich genau wie ich mich nach einer Gemeinschaft sehnen, wo wir in zeitgemässen, post-modernen Formen mit einer weiten Theologie progressiv glauben können.

Das macht definitiv Lust auf mehr! Möge das frühlingshafte Spriessen zu einem «mit Freude ernten» werden.

Glücksaufgabe

Wo darfst du gerade Frühlings-/Glücksgefühle erleben?

Ich bin meiner Kirche, der EMK Schweiz, sehr dankbar, dass sie durch die Aufstockung meiner Anstellung in mich und in die Region investiert. Und wem bist du dankbar?

Leerer Tank schon anfangs Jahr?

Diese Meldung hat mich beeindruckt: Neuseelands Premierministerin Jacinda Ardern tritt überraschend zurück, weil ihr Tank leer sei.

«Ich weiss, was man für diesen Job braucht,
und ich weiss, dass ich nicht mehr genug im Tank habe.
So einfach ist es.»
Jacinda Ardern

Die empathische, junge Premierministerin erhielt weltweit Bewunderung für ihre Leistungen in ihrer zwar kurzen Amtszeit, die jedoch von Krisen (Attentaten von Christchurch, Vulkanausbruch, Corona) gespickt war.

Ihr Rücktritt zeigt: Es braucht nicht immer einen Skandal, um vorzeitig aus einem Amt zu scheiden. Aber was es braucht, ist eine gesunde Selbstwahrnehmung und Rückgrat: Wer sein Amt gut macht, wird bei einer vorzeitigen Rücktrittsankündigung nicht nur Menschen überraschen, sondern auch viele enttäuschen.

Nicht alle schaffen es, wie Jacinda Ardern hinzustehen und zu sagen: «Genug ist genug!». Ein solcher Schritt soll gut überlegt sein, aus einer eigehenden Selbstreflexion erwachsen. Man muss in sich hineinhorchen und spüren, wann genug ist, wann nicht mehr genug im Tank ist. Jacinda Ardern sagte sinngemäss, dass man wissen sollte, was man zu geben hat – und was eben nicht (mehr).

Ich vermute, dass viel zu viele von uns viel zu lange auf dem Zahnfleisch laufen, weil sie entweder nicht so eine gute Selbstwahrnehmung wie Jacinda Ardern haben oder nicht das nötige Rückgrat, um die Entscheide zu fällen, die längst fällig wären.

Lernen vom Kohelet

Mir persönlich hilft dabei die Weisheit, die ich in den letzten Monaten im Bibelbuch Kohelet (Prediger) während der Matinée-Serie «Haschen nach Wind» im gms wiederentdeckt habe.

Es ist eine äusserst steile Aussage, wenn der Kohelet sagt: «Windhauch um Windhauch, alles vergeht und verweht.» Eindrücklich zeigt er auf, wie vergänglich menschliche Bestrebungen sind – ob wir uns ganz dem beruflichen Erfolg, der Klugheit oder dem Vergnügen hingeben, der Prediger kommt zum Schluss, dass dies alles Windhauch um Windhauch, flüchtig und vergänglich ist.

Doch sein Ziel war nicht etwa, uns in eine Depression oder einen Nihilismus zu stürzen. Vielmehr ging es ihm darum zu sagen: Menschliche Bemühungen mögen Windhauch sein, wer sein Vertrauen auf Gott setzt, baut auf das bleibende Fundament.

In einer solchen demütigen Haltung können wir unser Leben befreiter gestalten. Der Kohelet lädt uns ein, zu akzeptieren, dass wir vieles im Leben nicht unter Kontrolle haben. Und gerade darum können wir in Gelassenheit das geniessen, was uns anvertraut ist und das gestalten, was in unseren Möglichkeiten steckt.

Und noch ein Rat gibt uns der Kohelet mit auf den Weg: Meide die Extreme! Mit anderen Worten: Übertreib es nicht!

Wer immer Perfektion sucht, macht sich das Leben selbst schwer.

Und wer ins andere Extrem fällt, wird auch nicht glücklich: Pures Chaos und Gleichgültigkeit haben genauso eine selbst­zerstörerische Tendenz – das wusste schon der Prediger.

Ein ausgewogener Lebensstil mit einer gesunden Selbstwahrnehmung und einem starken Rückgrat, das wünsch ich dir für 2023!

Glücksaufgabe

Ich habe schon erlebt, dass Menschen nach der Lektüre des Glücks-Buches ihre beruflichen und freiwilligen Engagements neu sortiert haben. Das ist nicht immer einfach und man enttäuscht auch andere Leute. Doch eine solche Selbstreflexion ist eine wichtige Glücksaufgabe.

Wo willst du 2023 deinen Fokus legen?

Wie steht es aktuell um deinen Tank?

Und wo ist es an der Zeit für eine Veränderung?

Podcast Empfehlung: Die Messages der Kohelet-Serie kannst du jetzt online nachhören.

Dream big. Do big.

Früher konnte für mich ein Traum nicht gross genug sein. Mir wurde ja nicht umsonst gesagt: «Je grösser dein Traum, desto stärker kann sich Gott darin zeigen».

Inzwischen habe ich auch kleine Träume schätzen gelernt und bin mir ziemlich sicher, dass die Gleichung «Grosser Traum = Grosser Gott» hinkt. In vielen ach so schönen grossen Träumen steckt wohl eine dicke Portion GW – und zwar nicht GW als Gottes Wille, sondern als Grössenwahn.

Und trotzdem habe ich im gms gestern Abend bereits zum zweiten Mal den Werbespott «Dream big. Do big.» von Sunrise gezeigt. Mich inspiriert dieser Clip, weil er uns ermutigt, nicht nur von einer besseren Welt zu träumen, sondern auch konkret etwas für eine bessere Welt zu tun – ob im Kleinen oder im Grossen spielt da weniger eine Rolle.  

Mich faszinieren Geschichten von Menschen, die genau nach diesem «Dream big. Do big.» mutig etwas angepackt haben. Wie gesagt: Auch wenn ich es in meiner Ausbildung oder an Kongressen noch etwas anders gelehrt bekam, die Grösse dieser Träume spielen mir heute nicht mehr so eine Rolle.

Was mich begeistert sind Menschen, die von einer Idee, einem Anliegen oder einer Not so sehr gepackt wurden, dass sie nicht nur beim Träumen blieben, sondern mutig und innovativ Neuland betreten haben. Ein solcher Mensch ist Nathalie Schaller. Als Sozial-Unternehmerin wurde ihre Story am Willow Creek Leitungskongress vorgestellt.

Sie gründete nach ihrem Jurastudium [eyd], das erste humanitäre Modelabel Deutschlands. Bei [eyd] steht nicht Profit, sondern das Wohlergehen der Produzentinnen im Vordergrund. Die traumatisierten Frauen, die in den Partnerwerkstätten in Indien und Nepal arbeiten, werden therapeutisch betreut und befähigt, ihr Leben selbst zu gestalten. [eyd] ist im deutschsprachigen Raum in über 50 Concept Stores vertreten.

Für mich eine sehr beeindruckende Geschichte:

«Abitur, Studium, Karriere – so hätte Nathalie Schallers Leben aussehen können. Doch auf Reisen nach Indien und Kambodscha begegnet sie Überlebenden von Menschenhandel und Zwangsprostitution. Sie will helfen, schmeißt ihr Jura-Studium und gründet ein humanitäres Mode-Label.»

Im Grander-Vision-Video berichtet Nathalie Schaller am Leitungskongress, wie ihr Herz Feuer fing für eine grosse Vision. Und im Live-Talk motivierte sie die Kongressbesucher:innen:

«Wenn du merkst, dass etwas in dir glüht, dann mache ein Feuer daraus!»

Ein tolles Bild – aber wie macht man das?

Bleiben wir im Bild: Diese Woche glühte ein grosses Stück Holz in unserem Cheminée vor sich hin. Die Luftzufuhr passte, doch es brauchte weitere Holzstücke, damit sich ein richtiges Feuer entwickeln konnte.

Träume leben

Vom Bild des Feuers können wir dreierlei für unsere Träume lernen:

Ein Traum beginnt damit, dass wir in uns hineinhören, um herauszufinden, was in uns «glüht»:
=> Was sind die Themen, die dich nachts wachhalten?
=> Worüber kannst du stundenlang diskutieren?
=> Welche Menschengruppen sind dir besonders wichtig?

Sorge für eine passende Luftzufuhr:
=> Beschäftige dich mit dem Thema, dass dir wichtig ist!
=> Schaue Dokus dazu oder liess entsprechende Bücher.
=> Lerne Menschen kennen, die Erfahrung in diesem Bereich haben.
Wichtig: Wie beim Feuer braucht es das richtige Mass an Sauerstoff.
Mit zu viel Sauerstoff beginnt es wild zu flackern und das Feuer ist zu schnell vorbei! Zu viele Infos bringen dich durcheinander und bald ist der Traum aus!
Aber bleib dran, wenn du dich gar nicht mit deinem Traum auseinandersetzt (Luftzufuhr abstellst), erlöscht das Glühen schlagartig.

Bleib nicht alleine mit deinem Traum:
Hast du schon ein beeindruckendes Feuer mit nur einem Holzstück gesehen?
=> Triff dich mit Menschen, die dasselbe Anliegen teilen!
=> Schmiede mit ihnen zusammen Pläne!
=> Überlegt euch, wie aus dem «Dream big.» ein «Do big.» werden kann.

Glücksaufgabe

Ich liebe es, einem schönen Feuer zuzuschauen.

Und ich liebe es, Menschen zu erleben, die für ein Anliegen brennen.

Mit Träumen, die wir gemeinsam in Taten verwandeln, verändern wir die Welt in kleinen Schritten zum Guten. Das geht selten ohne Schweiss und Rückschläge – aber es macht glücklich!

Für die Lias und Luanas dieser Welt

Diese Woche hatte ich mein Standort- und Fördergespräch. In einem offenen Austausch haben wir uns mit meiner beruflichen Situation und der Entwicklung im letzten Jahr beschäftigt.

Dabei gab es viel Grund zur Freude – zum Beispiel über Ziele, die erreicht wurden und Perspektiven, die sich in den letzten Monaten eröffnet haben.

Doch ich nutzte die Gelegenheit auch, um einen ehrlichen Blick in unerfüllte Wünsche zu geben: Sowohl ich als auch meine Frau erhalten immer mal wieder ausgezeichnete Feedbacks auf unsere Predigt- und Referententätigkeit. Trotzdem fühlt sich vieles in unserem Alltag nach «Kleinklein» an – und nach Halloween befreien wir beispielsweise verklebte Fenster in unserer Location vom nächtlichen Eierbewurf.

Anders ausgedrückt mit einem konkreten Beispiel: Ich erhalte super ermutigende Feedbacks auf «Glück finden – hier und jetzt» (zuletzt vom ehemaligen Regierungsrat Bernhard Pulver), aber mein Glücks-Buch ist weit davon entfernt, ein Kassenschlager zu sein.

Was ist Erfolg?

Das Gefühl, das ich also in diesem Mitarbeitergespräch offen benannte, hat damit zu tun, dass ich mir «mehr Erfolg» wünsche und die «grosse Bühne» vermisse.

Mein Chef nahm meine Gefühle ernst, hielt mir gleichzeitig den Spiegel vor: «Warum hast du damals vor Jahren die Strategie deiner Arbeit angepasst und freiwillig auf die «grosse Bühne» verzichtet? Und von wegen «mehr Erfolg»: Gibt es etwas Wirkungsvolleres als das, was ihr da tut – denk nur an die Lias und Luanas, die hier einen Safe Place gefunden haben und sich aktiv einbringen!»

Touché! Es ist ein cooles Gefühl, vor 200 oder 1’000 Menschen zu sprechen und dafür Anerkennung zu erhalten. Doch ich habe mich bewusst dafür entschieden, mich für die Lias und Luanas dieser Welt einzusetzen. In der Hoffnung, abseits des Scheinwerferlichts nachhaltiger wirken zu können.

Das heisst dann halt auch: Hier ein Teenie-Kreis mit acht Personen, dort eine Matinée mit zwanzig Teilnehmenden und dazwischen ein wilder Cocktail von Umbauen, Einkaufen, Chai Latte zubereiten, Administration und Marketing.

Richtig schön ist es, wenn ich in die Predigtvorbereitung eintauchen kann und meine Gedanken mit anderen teilen darf. Und wenn wir dann wie letzten Sonntag Meilensteine feiern dürfen, fühlt sich unser Engagement tatsächlich sehr stimmig und nachhaltig an: Mit unterschiedlichsten Menschen durften wir den 23. Geburtstag unserer Arbeit feiern und die Moderation wurde von zwei jungen Frauen sehr persönlich, sympathisch und professionell gemacht.

Gibt es eine schönere Frucht als das: Zwei Menschen, die bei der Geburtsstunde vom gms noch gar nicht auf der Welt waren, erzählen offen, wie sie das gms als Geschenk von Gott erleben, hier einen Safe Place und die Liebe Gottes gefunden haben.

Darum mache ich, was ich mache!

Darum habe ich mich entschieden, mich künftig voll und ganz als Pfarrer zu betätigen und die Politik hinter mir zu lassen.

Für die Lias und Luanas dieser Welt.

Glücksaufgabe

Mit wem kannst du über ungestillte Sehnsüchte sprechen? Was für ein Glück, wenn man einen Chef hat, der einem dabei hilft zu sortieren. Wenn es nicht der Chef ist, kann ein Freund, Partner oder Coach diese Aufgabe übernehmen und dich spiegeln.

Und wenn du wissen willst, was denn die beiden jungen Frauen erzählt haben, dann empfehle ich dir von Herzen, in die Audio-Aufnahme der Matinée «Geschenk von Gott» reinzuhören. Mich macht es sehr glücklich – dich hoffentlich auch!

Platz für alle. Wirklich?

«Mini Farb und dini, das git zäme zwee,
wäred’s drü, vier, fünf, sächs, siebe,
wo gärn wettet zämebliibe,
git’s en Rägeboge, wo sich laht lah gseh,
git’s en Rägeboge, wo sich cha lah gseh.»

Ja, dieser Regenbogen.

Immer wieder ein demütiges Staunen, wenn der Friedensbogen irgendwo am Himmel aufleuchtet.

Und leider in den letzten Jahren auch immer wieder ein Ärgernis, wenn im Namen der Vielfarbigkeit darüber gestritten wird, wer nun zu welchen Bedingungen unter diesem Bogen alles Platz finden darf.

«Wie konnte es nur soweit kommen, dass ein biblisches Zeichen als Symbol der Schwulen-Bewegung missbraucht wird?» monieren die einen, während andere auf Social Media stolz Flagge zeigen – wahlweise für mehr Frieden auf dieser Welt oder für Diversität und ganz grundsätzlich für ein respektvolles Miteinander.

Persönlich ist mir der Regenbogen in vielerlei Hinsicht sehr wichtig: Zuerst als Naturphänomen, das mich immer wieder in eine innere Verzückung führt.

Dann als biblisches Versprechen, dass Gott es gut mit dem Menschen meint und er seinen Friedensbogen über uns spannt.

Und schliesslich genauso wie ich es im oben zitierten Kinderlied viele Jahre gesungen habe: Als Symbol für eine diverse Gesellschaft, wo alle ihren Platz finden dürfen und wo wir gemeinsam stärker (und schöner!) sind als jede:r für sich.

Auf so vielen Webseiten von Vereinen, Kirchen und Clubs steht: Bei uns sind alle herzlich willkommen. Ach, wirklich?

Oft steht im ungeschriebenen Kleingedruckten: Du bist willkommen, wenn du dich unseren Normen und Formen anpasst.

Oder wie es mein Bruder in seiner Lebensgeschichte auf den Punkt bringt: Mäth – Ja, aber …

Alle gleich

Zum 30-Jahre-Jubiläum des Weltbestsellers «Der Regenbogenfisch» fand in der Presse eine würdigende, jedoch auch kritische Auseinandersetzung mit dem Inhalt des Kinderbuches statt.

Ist es nun eine schöne Erzählung über das Teilen oder doch eher eine versteckte Botschaft in Richtung Gleichmacherei: Alle müssen gleich werden, damit sie in unserer Gesellschaft akzeptiert werden?

So gab beispielsweise Julia Stephan im Bieler Tagblatt vom 15. Oktober 2022 zu bedenken:

Meine deutsche Mutter, die das Schweizer Wertesystem, seine ungeschriebenen Verhaltensregeln gerade erst zu durchschauen begann, gab mir ihre Interpretation dieser Geschichte mit auf den Weg: Das Schicksal des Regenbogenfischs, am Ende nur einer unter vielen zu sein, sei ein typisch schweizerisches Ärgernis: «Bloss nichts Besonderes sein, bloss nicht auffallen, sonst werden alle neidisch auf dich.»

Jede:r ein Original

Wenn alle gleich sind, wo bleiben denn dann all die schönen Farben? Ich wünsche mir eine Gesellschaft, wo jede:r seine/ihre Farbe einbringen kann und mit seiner/ihrer Identität und Originalität geschätzt und geliebt wird.

Unsere Tochter Joy und ihre Partnerin Loa setzen sich mit ihren wöchentlichen Schwumpf-Geschichten genau dafür ein: Die kleinen und grossen Hörer:innen erfahren in den sympathischen Tiergeschichten, wie eine Welt aussehen könnte, wo Diversität nicht bloss ein schönes Mode- oder gehasstes Reizwort ist. Hier leben unterschiedlichste Menschen mit ihrer Einzigartigkeit und Eigenheit nicht nur friedlich neben- sondern wertschätzend miteinander.

Die Autorinnen schreiben über ihr Projekt:

Der kleine Biber Marco hat zwei Papas, der Molch Anton sitzt im Rollstuhl und ein Hasenbaby kommt zu früh zur Welt… dies ist nur ein kleiner Einblick in unsere vielfältigen Kindergeschichten. Unser Ziel ist es, Diversität auf kindgerechtem Weg zu vermitteln. Die 10-15minütigen Tiergeschichten werden auf Schweizerdeutsch erzählt und sind gratis auf Spotify und Anchor zu finden.

Mein bisherige Lieblingsgeschichte handelt natürlich passenderweise auch vom Regenbogen: Das Eichhörnchen Mimi macht sich darin auf die Suche nach den unterschiedlichsten Familienformen und findet auf ihrer Suche sechs tolle neue Freunde. Alle haben ihre eigene Geschichte und gemeinsam entdecken sie den Regenbogen mit all seinen Schattierungen und Farbverläufen.

Dabei fasziniert mich, wie Unterschiedlichkeit nicht ausschliesst sondern Diversität zu einem bereichernden Miteinander führt. Jede:r hat etwas Besonderes an sich. Es geht nicht um «Norm-al»: Normal ist, dass wir unterschiedlich sind und dazu stehen dürfen – und nicht menschgemachten Normen entsprechen müssen. 

Glücksaufgabe

«Das Fremde muss nicht länger fremd bleiben.» Hab ich hier im GlücksBlog nach meiner Begegnung mit dem Juden und dem Imam geschrieben.

Für einige mag es (be)fremd(end) sein, dass der Regenbogen von der Diversitäts-Bewegung in Beschlag genommen wurde. Aus religiösen Gründen haben viele Mühe, wenn die Formen der menschlichen Sexualität aus dem konservativ-traditionellen Rahmen fallen.

In einem Referat hat der deutsche Theologe Michael Diener kürzlich sehr offenen über seine Entwicklung mit diesen Thema gesprochen.

Hier auch noch ein Lesetipp: Homosexualität: Auf dem Weg in eine neue christliche Ethik?
Und wer sich ganz grundsätzlich Gedanken darüber machen möchte, wie man glauben kann, wenn der Glaube aus der Kindheit plötzlich zu eng wird, findet in Wenn der Glaube nicht mehr passt: Ein Umzugshelfer von Martin Benz wertvolle Impulse um den eigenen Glauben weiterzuentwickeln.

Und natürlich empfehle ich herzlich die Schwumpf-Geschichte vom Regenbogen und den dazugehörenden Instagram-Kanal.

Der Mensch im Zentrum

Wer hätte das gedacht? Nun bin ich also Hauptmann Armeeseelsorge. Da mein letzter Blogbeitrag zum historischen Lehrgang viele positive Echos bewirkte, nehme ich heute nochmals Bezug dazu.

Seit einer Woche bin ich wieder ganz im zivilen Leben unterwegs. Und natürlich wurde ich hier und da angesprochen, entweder wurde mir zur Ernennung zum Hauptmann gratuliert, interessiert nachgefragt, was denn die Armeeseelsorge genau mache oder einfach salopp rhetorisch gefragt: «Und? Froh hast du’s hinter dir?».

Tatsächlich konnte ich diese Frage nicht mit einem klaren Ja beantworten. Natürlich sind meine Füsse dankbar, müssen sie bei dieser Hitze nicht mehr den ganzen Tag in unbequemen Kampfstiefeln stehen … Aber auf der anderen Seite machte sich diese Woche schon ein wenig «Lagerkoller» breit – nach den intensiven drei Wochen bin ich zwar froh, wieder bei meiner Familie zu sein, doch meine neuen Freunde vermisse ich schon auch.

Da drückt der Schuh

Die Schnittstelle zwischen militärischem und zivilem Leben, die ich in den letzten Tagen erlebte, eignet sich gut, um herauszufinden, was ich im Militärdienst schätzen gelernt habe und was ich jetzt überhaupt nicht vermisse.

Wie gesagt: Dass die Schuhe nicht mehr drücken, haben meine Füsse dankend zur Kenntnis genommen. Der bildlich gesprochene drückende Schuh entdecke ich aktuell in zwei Dingen:

Als Milizpolitiker verbrachte ich diese Woche schon wieder Stunden in Beratungen und Sitzungen. Bei einigen – wie in den Bewerbungsgesprächen – ging es um den Menschen. Vorwiegend ging es aber um Schulraumplanung, Finanzen, Verträge, Parkplätze …

Es mag überraschen, dass einer der Werte in der Schweizer Armee «Menschen im Zentrum» heisst. Natürlich ist ein solcher Slogan sehr schnell niedergeschrieben, aber nur sehr langsam als gelebte Kultur gefestigt.

Wenn schon die Armee als Ganzes sich der Menschenwürde verpflichtet, gilt dies umso mehr bei der Armeeseelsorge. Und das war in unserem Lehrgang spürbar: Die Theorieblöcke waren von der Frage geprägt, wie wir es schaffen, den Menschen ins Zentrum unseres Wirkens, Begleitens und Unterstützens als Seelsorger zu stellen.

Dieser Ansatz zog sich auch durch unsere Pausen und (knapp bemessene) Freizeit: Ein persönlicher Austausch zu später Stunde mit dem Vorgesetzten, Anteil nehmen an einer brüchigen Lebensgeschichte, Mitfreuen, wenn Versöhnung geschieht, Menschen und ihre Prägungen kennen und schätzen lernen … – ich habe es genossen, stand der Mensch in diesem Kurs im Zentrum. Und das fehlt mir diese Woche.

Die zweite Erkenntnis kam für mich etwas überraschend: Der Militäralltag war durchgetaktet (05.45 Aufstehen, 06.15 Frühstück, 07.00 Besinnung, 07.45 Theorie …) und so blieb wenig Spielraum für freie Planung. Eigentlich hätte ich gedacht, dass ich dies auf keinen Fall vermissen würde. Und ich glaube, ich vermisse es auch nicht wirklich – zu sehr habe ich über all die Jahre die Freiheit des «eigenen Chefseins» schätzen gelernt.

Aber mir wurde neu bewusst, wie viel Energie und Disziplin es kostet, wenn man seinen Alltag selbständig planen kann (darf/muss). Da ist es schön, sich auch einmal von einem «Picasso» (Wochenplan) führen zu lassen, der einem sagt, was als Nächstes ansteht.

Der Traum der vorbehaltlosen Annahme

Richtig gefreut habe ich mich, dass ich wieder zurück in meinem Alltagsjob bin. Nein, ein Job ist es nicht, es ist meine Berufung, die ich zusammen mit meiner Frau seit 23 Jahren leben darf: Seit der Gründung vom gms (Gemeinde im Bezirk «Kirche anders» der EMK Schweiz) ist es uns ein Anliegen, Orte zu schaffen, wo sich Menschen wohl und angenommen fühlen, Gott kennen und lieben lernen.

Diesen Traum träumen wir zum Glück nicht alleine. Gerade gestern Abend haben wir mit Menschen, die sich zu unserer Gemeinde zugehörig fühlen, über Annahme, Begegnung und Entwicklung nachgedacht.

Eine Aussage hat mich dabei gleichermassen gefreut als auch erschüttert: Sowohl ein Schüler als auch ein Frau Mitten im Leben haben zu bedenken gegeben, dass sie neben dem gms kaum einen Ort haben, wo sie diese vorbehaltlose Annahme erleben.

Es braucht Mut auf beiden Seiten: Organisationen – ob kirchliche Gemeinschaften, Schulen, Firmen oder eben die Schweizer Armee – brauchen den Mut, den Menschen nicht nur im Leitbild ins Zentrum zu rücken.

Und es braucht den Mut, vielleicht auch gerade nach enttäuschenden Erfahrungen, sich als Mensch aufzumachen und Teil einer Gemeinschaft zu werden. Dabei macht man sich verletzlich, geht ein Risiko ein.

Doch wenn man diesen mutigen Schritt wagt, kann der Gewinn riesig sein.

Das habe ich in meinen drei Militärwochen erlebt. Und das möchte ich immer wieder erleben und darum will ich noch konsequenter den Menschen ins Zentrum stellen.

Glücksaufgabe

Neulich durfte ich zusammen mit meiner Frau ein Glücks-Referat für Lokführer und Zugbegleiterinnen halten. Im Gespräch am Mittagstisch fragte ich einen Güterzug-Lokführer, ob das nicht ein furchtbar einsamer Job sei. Er: «Ich liebe diese Ruhe und das Alleinsein!».

Ein Weg zu mehr Lebenszufriedenheit ist, zu wissen, woraus man Energie zieht. Kannst du dich mit dem Lokführer identifizieren? Oder eher mit mir, wenn ich feststelle, dass mir Lebensgeschichten (Menschen) mehr Freude machen als Sachgeschäfte?

«Der Mensch im Zentrum» heisst auch, dass du dich kennst und weisst, was dir gut tut – und was nicht.

Der Imam und der Jude – meine neuen Freunde

Derzeit habe ich das grosse Privileg, Teil eines historischen Kurses zu sein: Im dreiwöchigen Technischen Lehrgang (TLG) werde ich zusammen mit rund 30 anderen Männern und einer Frau zum Armeeseelsorger ausgebildet.

Diesen TLG zu einem historischen Kurs macht die Tatsache, dass neben der riesigen Vielfalt von Theologen aus den christlichen Kirchen auch ein Imam und zwei Vertreter aus der jüdischen Glaubenstradition dabei sind.

Während ich mir durch die Auftritte meiner Frau und durch meine Tätigkeit bei Willow Creek das Miteinander mit nahezu allen Frei- sowie den Landeskirchen gewohnt bin, ist dieser enge Kontakt mit den Vertretern aus den anderen beiden grossen monotheistischen Religionen Neuland.

Und ich liebe dieses Neuland!

Militärdienst als Privileg – ehrlicherweise muss ich zugeben, dass dies noch vor einigen Jahren ein fremder Gedanke für mich gewesen wäre. Natürlich, ich habe meinen obligatorischen Militärdienst absolviert und dabei auch viele schöne Begegnungen erlebt und dank einem Sonderjob fühlte sich schon meine erste (und äusserst bescheidene) «Militärkarriere» sinnvoll an.

Doch die Freude war gross, als ich vor schon bald 20 Jahren meine Pflicht erfüllt hatte und all meinen militärischen Krimskrams abgeben durfte.

Beschenkt

Nun bin ich also freiwillig zurück. Vieles, was ich höre und lerne, zeugt von einer grossen Sinnhaftigkeit der Armeeseelsorge. Neben grosser Neugier und Vorfreude habe ich grossen Respekt vor der Aufgabe, die auf mich zukommen wird.   

Doch vorerst geniesse ich das dreiwöchige Miteinander mit all diesen spannenden Menschen. Was wir in den Theorien lernen, füllt unseren Werkzeugkasten für die kommenden Einsätze. Als noch wertvoller erlebe ich die Begegnungen beim Essen, im Ausgang oder beim Bier spät abends (doch, doch, auch das gibt es in einem Kurs lauter Pfarrer, Pastoren, Diakonen, Priester, einem jüdischen Vorbeter und dem Imam – gut, dieser verzichtet selbstverständlich aufs Bier, ist aber trotzdem dabei).

Ungezwungen und total sympathisch entsteht in unserem gemeinsamen Unterwegssein ein interreligiöser Dialog, der in seinem Wert kaum überschätzt werden kann. Dieser Dialog überwindet übrigens auch den Röstigraben.

Der jüdische Rektor einer Schule, bedient gerne die jüdischen Klischees – und lacht gerne mit uns darüber. Und wenn der Imam sich selbst und seine Religion aufs Korn nimmt, entstehen wunderbare Momente. Er hat uns von Anfang an versichert: Bei Witzen, die das «Weltliche» betreffen, lache er gerne mit, doch wenn es um Witze über das «Göttliche» gehe, gebe es für ihn nichts mehr zu lachen.

Meine neuen Freunde, der Imam und der Jude, bringen mit ihrem Humor eine angenehme Leichtigkeit in unsere Gruppe und in unseren Dialog. Es ist wirklich ein riesiges Privileg: Noch nie hatte ich die Gelegenheit, Vertreter dieser Religionen so persönlich kennen zu lernen und die Möglichkeit, einfach mal ne dumme Frage zu stellen. Bereitwillig geben wir einander Auskunft über unsere Herkunft und unsere Tradition.

Und als der Imam bei der gestrigen Besinnung mit uns betete, hat mich das unglaublich stark berührt. Oft werden vor allem die Unterschiede unserer Religionen sichtbar – und dann auch besonders betont.

Das Gebet vom Imam war mir fremd: Aber das lag an der Sprache und dem Gesang. Der Inhalt war mir überhaupt nicht fremd. Wie Gott in diesem Gebet beschrieben wurde – da war ich voll dabei. (Übrigens haben mir auch der Gesang und die Sprache gefallen.)

Drei Erkenntnisse nehme ich von den ersten beiden Wochen des TLGs mit:

1. Auch in meiner zweiten «Militärkarriere» werde ich wohl kein guter Schütze (aber zusammen mit meinem jüdischen Freund, der beim Pistolenschiessen etwa ähnlich talentfrei ist wie ich, kann ich sogar darüber lachen).

2. Die Besuche von mehreren Sterne-Generälen hat uns darin bestätigt, dass die Armeeseelsorge eine sehr wichtige und wertvolle Sache ist (gerade die Pandemie hat dies eindrücklich aufgezeigt).

3. Und vor allem nehme ich mit, dass das Fremde nicht länger fremd bleiben sollte! Das Miteinander von Muslimen, Juden, Frei- und Landeskirchlern ist ein wertvoller Schatz.

Lasst uns Brücken bauen. Mit den gemeinsamen Werten wie Respekt, Gerechtigkeit, Freiheit, Wertschätzung, Offenheit, Solidarität und Gleichbehandlung kann es uns gelingen, auch über Kirchen- und Religionsgrenzen hinaus Barrieren abzubauen und das Fremde schätzen zu lernen. Und so für mehr Liebe statt Hass auf unserer Welt zu sorgen.

Glücksaufgabe

Wo hattest du letztmals die Gelegenheit genutzt, das Fremde kennenzulernen?

Wo könntest du neugierig deinen Horizont erweitern und beginnen, im «Anderen» eine Ergänzung statt einer Bedrohung zu sehen?

Übrigens: Zu meinen neuen Freunden gehört jetzt auch ein katholischer Priester.
Und: Über den historischen Kurs berichten auch die Medien gerne wie beispielsweise das Echo der Zeit oder BlickTV.

Das Leben auf der Achterbahn

Mit 20 war ich sowas von im Flow, dass ich meinte, es gebe nur eine Richtung im Leben: Steil aufwärts.

Erfolgreich abgeschlossene Banklehre, Jungschar gegründet, 1. August-Redner im Dorf, mehrere Camps organisiert …

Ein Jahrzehnt – und manche Lebenserfahrung – später, war mir längst klar: Im Leben kann es nicht nur aufwärts gehen. Irritationen, Scheitern und Brüche gehören genauso dazu.

Zu einem bereits gut gefüllten Alltag mit unterschiedlichen Verpflichtungen kam quasi obendrauf noch der Familienalltag mit Kleinkindern. Wir zahlten als Paar teures Lehrgeld, weil plötzlich nicht mehr alles möglich war (war es natürlich schon vorher nicht – und doch: geht nicht, gabs irgendwie nicht), die Kräfte nicht mehr reichten, Enttäuschungen und Anfeindungen verarbeitet werden mussten.

Auch in dieser Phase gabs zum Glück immer wieder schöne Flow-Erfahrungen. Wir wurden aber auch arg ausgebremst. Und so wurde uns an unserem eigenen Erleben deutlich, was ja eigentlich schon klar war: Eine Lebenskurve ist selten gerade – und vor allem führt sie nicht fortwährend steil aufwärts.

Das 3D-Leben

Nochmals knapp zwei Jahrzehnte – und so manche Horizonterweiterung – später, scheint mir auch diese Sicht von der auf- und abwärts führenden Lebenskurve zu kurz gegriffen. Das Leben verläuft nicht einfach linear mal nach oben, dann wieder etwas nach unten.

Dies passt ja auch nicht in das 3D-Zeitalter. Das Leben ist einfach komplexer als es die Einteilung in Höhepunkte und Tiefschläge zulassen würde.

Je länger je mehr komme ich mir wie auf einer wilden Fahrt auf einer Achterbahn vor – am besten noch unter erschwerten Bedingungen, sagen wir mal eine Achterbahnfahrt im Nebel: Du weisst nicht, was als Nächstes kommt. Noch gerade ging es steil aufwärts, dann runter und unvermittelt geht’s in eine gewaltige Rechtskurve (oder war es links?) …

Leben pur, Orientierung nicht einfach.

Vor knapp zwei Wochen gönnte ich mir eine Auszeit im Solbad. Zwischen den Saunagängen reflektierte ich Tagebuch schreibend über meinen Alltag. Dabei durfte ich feststellen: Nach einem nicht einfachen Herbst haben sich Dinge am Anfang des neuen Jahres in eine gute Richtung entwickelt. Hoffnungsvoll habe ich meinen Auszeittag beendet.

Der Hammer folgte 24 Stunden später: Was sich für uns als Familie gerade so hoffnungsvoll entwickelte, wurde jäh ausgebremst. Statt steil aufwärts geht’s die Steilwandkurve runter und die Gefühlsachterbahn nimmt Fahrt auf – mit Höchstgeschwindigkeit.

Auch wenn ich hier (für den Moment) keine persönlichen Details preisgeben will, bestimmt kannst du dir vorstellen, wie es uns geht – weil du solches auch schon erlebt hast: Rauf, runter, links, rechts – wo stehen wir eigentlich? – man, ist das ungerecht! – und jetzt? …

Du bist nicht alleine!

In dieser ungemütlichen Situation sind wir gerade einige Dinge am Buchstabieren. Eines davon ist: Wir sind nicht alleine!

Gerne glauben wir ja an einem Tiefpunkt im Leben, der Lüge, wir wären die Ärmsten und besonders hart vom Leben geschlagen. Das stimmt nicht!

Natürlich wissen wir das. Doch wenn wir uns im Jammertal ins Schneckenhaus zurückziehen, sehen wir nur Menschen, die es besser haben als wir.

Während ich aber mit anderen über unsere Situation sprach, ist mir von schwierigen Lebenssituationen berichtet worden, die mich nicht kalt lassen.

Tatsache ist: Auch bei anderen – selbst wenn sie wunderschöne Fotos auf Insta teilen – geht nicht alles wie „am Schnüerli“, geht nicht alles glatt, scheint nicht jeden Tag die Sonne!

Lass dir helfen!

Wir sind so dankbar für gute Menschen an unserer Seite: Familie und Freunde, die unsere Not mittragen, Menschen, die Anteil nehmen und für uns beten, und wir sind dankbar für die professionelle Hilfe – von der Psychologin bis zum Rechtschutz.

Diese Kombi von Freunden und professioneller Hilfe wünsche ich allen, die das 3D-Leben auf der Achterbahn in seiner ganzen Komplexität erfahren: Wir müssen nicht verschweigen, was uns belastet. Und wir müssen nicht irgendwelche Helden spielen, die keine Hilfe brauchen.

Oder wie mir gestern jemand anvertraut hat: Die gutgemeinten Notfallkügeli der Eltern haben leider nicht gereicht, um ein traumatisches Erlebnis meiner Jugendzeit zu verarbeiten.

Und mir hilft, zu wissen, dass Gott da mit mir auf der Achterbahn des Lebens ist – selbst wenn ich meine Fragen an ihn habe und ich so manches einfach nicht verstehe. Er ist da. Vielleicht verhindert er nicht den freien Fall. Doch er fängt mich am Ende auf.

Glücksaufgabe

Vielleicht gibt es in deinem Leben gerade keinen Nebel und keine Steilwandkurven. Dann freu dich dran, sei dankbar und bete vielleicht für jemanden, der es gerade ganz anders erlebt.

Und wenn du selbst Tiefschläge zu verdauen hast und dich kaum orientieren kannst: Lass dir helfen! Rede mit Freunden und lass die Unterstützung von Profis zu.

Gnadenbringende Weihnachtszeit …

Hast du gerne Weihnachtslieder? Und welches sind deine liebsten Weihnachtslieder?

Hier ein kleines Rätsel für Weihnachtslieder-Profis unter uns: Erkennst du die folgenden Zeilen? Aus welchen Liedern stammen sie? (Lösung am Ende des Artikels)

A) «Gnadenbringende Weihnachtszeit!»

B) «Einfach frei nach Schnauze backen»

C) «Kehrt mit seinem Segen ein in jedes Haus»

D) «überen eus in Ewigkeit» (Schweizer Mundart)

Weihnachtslieder sind nicht jedermanns Sache. Obwohl die Auswahl ja riesig ist und in jeder Stilrichtung etwas zu finden ist.

Überhaupt: Wie hast du es so mit Weihnachten?

Die Advents- und Weihnachtszeit lebt von einem spannenden Mix aus Kitsch, Romantik, Geschenke, sinnentleerten Ritualen, Sehnsucht nach menschlicher Wärme und dem Aufblitzen einer göttlichen Liebes- und Hoffnungsbotschaft.

An uns persönlich ist es, zu entscheiden, welchen Aspekt davon wir besonders gewichten wollen.

Nachdenklich stimmte mich folgende Zeile, die ich gestern im Bieler Tagblatt entdeckte:

An Weihnachten scheint mir vieles unsinnig.
Einige treffen sich mit Menschen,
die sie nicht mögen und nicht sehen möchten,
um eine Geburt zu feiern,
an deren Existenz sie zweifeln. 

Jessica Ladanie
(in: Jesus wäre vegan, Kolumne im Bieler Tagblatt, 23.12.21)

Oje, wie traurig ist denn das?!
Viel Stress mit wenig Inhalt.
Schade, wenn Weihnachten nicht mehr sein darf!

Mir gefallen die kitschigen Weihnachts-Liebesfilme, gegen Geschenke habe ich nichts einzuwenden und auch Familienfeste und Weihnachtsessen mit Freunden gehören für mich in die Zeit am Jahresende.

Aber wenn das alles ist, wäre mir tatsächlich lieber, wenn wir es nicht mehr mit der Geburt dieses Babys in der Krippe im Stall von Betlehem in Zusammenhang bringen würden. Wir brauchen wirklich nicht eine Geburt zu feiern, wenn wir deren Existenz anzweifeln.

Dann wäre eine Jahresend-Party als Zeichen des menschlichen Miteinanders viel ehrlicher.

Doch soweit lasse ich es für mich persönlich nicht kommen: Weihnachten ist das Fest der Liebe! Und zwar nicht einfach Liebe als wohlig-warmes-romantisches Miteinander von Menschen.

Hier geht es um göttliche Liebe!!

Genau für Zeiten wie die gegenwärtige wurde Weihnachten! Gott besucht uns in aller Schwachheit, Unsicherheit und Hoffnungslosigkeit. Sein Licht bringt uns eine neue, ganz andere Hoffnung. Eine Liebe, die nicht von dieser Welt ist.

Eine Frage des Vertrauens

Letzte Woche habe ich hier über Vertrauen geschrieben. Tatsächlich handelt es sich aus meiner Sicht auch bei Weihnachten um eine Vertrauenssache.

Wer Weihnachten ernst nimmt, steht hier vor einer Vertrauensfrage:

Vertraue ich irgendeinem Weihnachtszauber aus Kitsch, Romantik, Kommerz und Engelchen?

Oder merke ich, dass hier mein Herzvertrauen gefragt ist, mich der Höchste persönlich besucht und mich fragt: Vertraust du mir?

Vertraust du der gnadenbringenden Weihnachtszeit, weil er – weil Jesus – es ist, der da Gnade bringt?

Manchmal dringen die alten Weihnachtslieder nicht so recht zu meinem Herzen durch. Diese alte Sprache ist mir fremd.

Und doch: Genau diese «gnadenbringende Weihnachtszeit» wünsche ich mir dieses Jahr ganz besonders. Etwas Gutes, etwas Göttliches ist mir, dir, uns allen geschenkt. Sind wir bereit, dieses Geschenk anzunehmen und dem Schenkenden zu Vertrauen?

Oder mit dem populären Weihnachtslied (Last Christmas) gefragt: Wem schenkst du dieses Weihnachten dein Herz und dein Vertrauen?

Glücksaufgabe

Welcher Teil von Weihnachten macht dich glücklich?

Und hier noch die Lösungen zum Weihnachtslieder-Rätsel:
A) «O du fröhliche»
B) «In der Weihnachtsbäckerei»
C) «Alle Jahre wieder»
D) «Das isch de Stern vo Bethlehem»

Frage des Vertrauens

Und, hast du das Frühstück heute morgen überlebt?

Eine doofe Frage, ich weiss. Aber in einer Zeit, in der man nicht mehr weiss, wem man sein Vertrauen schenken kann, darf, soll, beginne ich mich mit komischen Fragen zu beschäftigen:

Was, wenn ich den Bauern im Lande nicht mehr trauen kann, weil sie möglicherweise der Milch ein Gift beisteuern?

Oder wie ist es mit dem Buschauffeur? Wird er mich – allenfalls gar im Schneesturm – sicher ans Ziel bringen?

Und die Autoindustrie: Wer sagt mir, dass mein Neuwagen nicht nach 10’000 Kilometer explodieren wird?

Das Leben ist lebensgefährlich. Ohne Vertrauen überleben wir da nicht lange. Wir alle leben tagtäglich aus dem Vertrauen heraus. Wer nur aus Angst lebt, lebt irgendwann nur noch zurückgezogen in seiner kleinen Welt – oder irgendwann gar nicht mehr.

Ich entscheide schon am Morgen, ob ich mit Vertrauen oder mit Angst in den Tag starten will – vom Lebensgefühl her, aber auch ganz praktisch: Die Milch am Frühstückstisch, daneben liegt die Tageszeitung: Hm, kann ich darauf vertrauen, dass der Journalist über tatsächliche Ereignisse berichtet oder verdreht er Fiktion in Fakten?

Und schon bald geht’s wirklich ans «Läbige»: Wenn ich meine Kinder anderen Menschen anvertraue – vertraue ich da auch wirklich? Oder wenn ich mich selbst den Händen eines Therapeuten anvertraue – vertraue ich darauf, dass mir geholfen wird?

Wer aktiv ins Leben eintaucht, steht andauernd vor der Vertrauensfrage.

Langzeitfolgen des Misstrauens

Es wird derzeit viel über Langzeitfolgen gesprochen – wahlweise meint man damit die Folgen einer Corona-Erkrankung (Long Covid), die vermuteten Folgen einer Impfung oder die psychischen und gesellschaftlichen Folgen von Social Distancing.

Ich frage mich, wie sich die Langzeitfolgen des gegenwärtigen Misstrauens manifestieren werden.

Das Hinterfragen von Autoritätspersonen ist keine neue Erscheinung. Und ich begrüsse, dass man durch verschiedene Strömungen mindestens seit der 68er-Bewegung bis zu «Me too» die Autoritätsgläubigkeit abgelegt hat und man sich bewusst wurde, dass auch die eigenen Idole nicht vor Fehltritten und falschen Entscheidungen gefeit sind.

Doch ich befürchte, dass gerade, wie so oft, das Pendel ins andere Extrem ausschlägt: Während die Verschwörungstheoretiker, für die alle Amtsträger ferngesteuert werden, eine kleine Randerscheinung sind, gibt es mehr und mehr Leute, die nur noch sich selbst trauen.

Und diese Entwicklung scheint mir für ein gesundes Miteinander als Gesellschaft nicht gerade förderlich.

Ich will meiner Nachbarin genauso wie meinen Gemeinderatskollegen, meinen Kindern genauso wie dem Journalisten meiner Lokalzeitung, meinen Freunden genauso wie meinen Ärzten, meinen Mitarbeitenden genauso wie meinem Bundesrat unterstellen, dass sie es grundsätzlich gut mit mir meinen.

In diesem Sinn habe ich diese Woche nach einer Tagung mein Fazit gezogen: Haltung vor Meinung.

Wir können uns in manchem uneinig sein. Und das ist auch völlig okay so. Aber wir sollten dabei Haltung bewahren: Eine Haltung des Vertrauens, des Respekts und des guten Willens.

Man kann das als naiv betrachten. Und tatsächlich wurde mein Vertrauen auch schon hier und da missbraucht.

Doch ich weigere mich in aller Deutlichkeit, all meinen Mitmenschen – ob Nachbarn oder Autoritätspersonen – in einer Haltung des Misstrauens zu begegnen.

Glücksaufgabe

Während der Pandemie ging vieles verloren, was uns als Gemeinschaft zusammenhält. Ich hab das selber in verschiedenen Gremien erlebt. Geselliges Zusammensein oder Networking ohne fixe Agenda fördert unser Miteinander (und unser Vertrauen zueinander) ungleich stärker als Zoom-Meetings.

Auch wenn wir unsere sozialen (physischen) Kontakte in den nächsten Monaten nochmals reduzieren müssen, bitte ich dich: Zieh dich nicht zurück in dein Schneckenhaus! Gib nicht dem Misstrauen gegenüber allen und allem Raum sondern frag dich, wie du dein Leben mit einem gesunden Vertrauen gestalten kannst.